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Eine Brise aus Alishan

Jae erzählte mir auf den Teetisch, bevor sie zum Packen von Tee ging, einen Vorfall, dass sie von einem unbekannten Kind in der Stadt mit einem Ruf von „Corona“ überrascht wurde. Als ein sichtbarer Fremde kenne ich das Phänomen, mehr als zu gut. Ich sagte, dass wir als sichtbare Fremde solche verletzende Geschichte gut kennen. Aber wir sind kein Opfer. Ich rate ihr einerseits, dem Kind zu sagen, „Es verletzt.“ Das Kind kann auch lernen, dass es Menschen verletzen kann. Und wenn Eltern dabei sind, können wir zu den Eltern gehen und es mitteilen. Anderseits bleiben wir innerlich stark. Unwissende Menschen können uns nicht so einfach verletzen.

Heute war eine sehr freundliche Dame in Shui Tang. Ich bat ihr, mit unserem Mittel ihre Hände zu desinfizieren. Sie tat es sehr freundlich. Auf einmal sagte sie mir, „Ihr in Asien habt oft solche Krankheiten.“ Sie war nicht böse, meinte auch nicht böse, tat auch nicht böse. Ich blieb ruhig und sagte ihr, „Diese neuen Corona-Virus lieben das kalte Klima. Im 4 Grad wie bei uns hier überleben sie 28 Tage lange!“ Es wäre klug, besser auf sich selbst aufzupassen.

Im Lauf des Tages erlebte ich verschiedene Dinge. Ein Taiwaner Freund desinfizierte seine Hände im Zug und wurde von Nachbar mit bösen Blick angeschaut. Er war empört und rief mich an. „Weshalb wissen diese Menschen nicht, dass ich eigentlich für unsere gemeinsame Gesundheit schütze!“ „Ja, die Menschen hier glauben, dass diese Virus sei wie eine Grippe.“ „Aber wissen diese Menschen hier nicht, weshalb so viele Aerzte und Krankenschwester in China bereits daran gestorben sind? Weshalb haben Airlines die Flügeln abgesagt? (Swiss sagte Flügel nach China bis April ab.) Hast Du jemals gehört, dass es wegen einer Grippe viele wichtige Personen in einer Regierung wie in Iran starben?“ Er war sehr wütend und selbst ist eigentlich ein promovierter Chemiker. „Wir müssen uns beschützen, bevor Impfungen und Medikamente erfunden werden.“

Ja, wir müssen Zeit gewinnen.

Es hat mir dann auch gereicht, dass ein Kunde mir heute auch fragte, warum es Angst herrscht. Für ihn sei Corona auch nur wie eine Grippe.

In der Schweiz gibt es im Moment 8.57 Millionen (8,000,000) Menschen und hat 58 infizierte (04.03.2020) Fälle. In Deutschland gibt es 82,000,000 Menschen und hat 203 infizierte Fälle. Hat man in der Schweiz nicht das Gefühl, dass es proportionell nicht stimmt? In Taiwan gibt es 23,000,000 Menschen und hat 42 infizierte Fälle. Obwohl diese Insel neben China liegt und im Asien ist. Stimmt da etwas nicht?

Nachdem Shui Tang wieder zur Ruhe kam, goss ich mir eine Schale Alishan Qingxin 2004. Egal wie es im Draußen wütet, genieße ich mein Leben. Wenn es mir morgen etwas passieren würde, würde es mir auch nicht etwas fehlen. Mein Leben ist erfüllt, mit Taten, Liebe und Schönheit. Diesen Alishan habe ich so lange für mich bewahrt. Ein gelagerter Tee ist wie ein Geschenk. Die Zeit, die einen Tee reift, kann man nicht mit Geld kaufen. Aus meiner Schale steigt eine frische Brise, auch wenn er 16 Jahre lange verschlossen blieb. Ich roch Honig und Nektar, und ein Hauch von warmen Wind über die Blumenwiese aus dem Alp, wie im goldenen Herbst. Im Mund schmeckte ich die Blumen noch deutlicher. Der Aufguss wie mit Orangenblüte-Honig gesüßt und von frischen Note von Orangenschalen.

Einen gelagerten Tee zu probieren ist wie die Ernte zu betrachten. Wie ist er gereift? Ist er gut gereift? Auch ein gereifter Tee möchte verstanden werden. Verstanden werden ist ein Glück.

Als ich die Teetassen von heutigem Tee im heißen Wasser siedeln ließ, duftete es noch zwischen meinen Zähnen. Diese schöne Überraschung erinnerte mich an dem Spaziergang zwischen duftenden Allee in Park von Alishan. Es war schon lange her, als mein Vater noch mit seinem Koffer öfters unterwegs war. Wir verbrachten als eine kleine Familie im Taihe bei Alishan. War es Pflaumenblüte oder Pfirsch? Der Frühlingswind brachte Blütenblätter zum tanzen und der Duft hüllte mich. Es versetzte mich irgendwohin, wo es blüht.

Gukeng 古坑 Oolong II

Der Garten ist steil und voller Felsen. Ein bequemer Mensch würde dort keinen Tee anbauen. „Aber er schon.“ sagte Atong mir in diesem Frühling. Er sei sein erster Schüler, gab er zu. Für ihn gibt es eine Unterscheidung von Studenten und Schülern. Ein Schüler ist jemand, der das Handwerk von ihm konkret lernt und auch konkret anwendet. Ein Student ist jemand wie ich, der bloß den Tee mit Intellekt versteht. Er zeigte ihm wie er Tee produziert und wie er die Natur, die Zeit und den Tee zusammen in einem Kontext harmonisiert. Der Mensch wartet bis die Natur so weit ist und erst dann Teeblätter nimmt. Die Teeblätter verwandeln sich in der Zeit von sich alleine und entwickelt sich mit Hilfe von menschlichen Hände in einer bestimmter Richtung weiter. Die Zeit lässt diese Verwandlung geschehen. Der junge Schüler lernte das Handwerk und wollte dort Tee anbauen, wo gewöhnliche Menschen aufgeben. Er schaffte es und der Garten gedeihte. Aber er wollte Geld verdienen und zwar sofort.

So trennten sich der Meister und der Schüler. Man pflegte das nötige Respekt voreinander, mehr nicht. Die Wege kreuzen sich nicht, wenn das Herz nicht das Gleiche sucht.

Irgendwann hat ein Wandel stattgefunden. Der Schüler machte seine Erfahrungen in dem konkreten Kapitalismus. Zwischen Geld und Zufriedenheit entwickelt sich immer mehr Risse. Vielleicht hat er auch genug verdient. Vielleicht war es ein Midlife-Crisis. Vielleicht war es nur eine Suche. Das Herz schlug wieder in die andere Richtung, in der Meister und Schüler sich begegnen.

„Seit fast zehn Jahren besucht er mich wieder regelmäßig.“ Atong holte einen Gukeng 2004 aus seinem Schatzkammer, „Der Garten ist außergewöhnlich! Ein Traum. Richtung Südosten. Steil. Viel Sonne. Viel Nebel. Viel Steine.“ Und seit 1981. Der Meeresspiegel liegt zwischen Dongding Berg und Alishan! „Ach, nicht so hoch.“ Atong schaute zu mir, „Bist Du noch abergläubisch?“ „Nicht ich, sondern meine Kunde. Sie wollen Hochlandoolong.“ „Dann erziehe sie, bis sie merken, dass die Qualität eines Tees nichts mit der Lage auf dem Papier zu tun hat!“

Der Gukeng Oolong 2004 liegt zwischen „der Zeit“. Er reift noch. Der Geschmackt erzählte mir, wie die Zeit mit ihm arbeitet. Blumen blühend, Pflaumen reifend. Lebendig und tanzend auf meine Zunge. Was für ein Gemälde oder besser gesagt, was für einen Sommer bei Vivaldi! „Aber ich schmecke etwas Zusammenziehendes im Mund. Was für einen Fehler war damals?“

„Nicht ein wirklicher Fehler, sondern ein Macke. Er war zu jung und zu ungeduldig und der Hang ist zu steil.“ Seine Augen schlossen fast zusammen. Steiler Hang? „Aber der Gukeng 2019 schmeckt nicht so. Er ist charaktervoll, aber nicht eckig.“ Atong machte seine Augen groß. „Merkst Du? Merkst Du es?“ Ja, ich merke es. Ich merke es plötzlich auch, warum. Die Zeit wirkte.

Die Zeit fließt in den Tee hinein. Nicht nur dass der Tee reifen kann, sondern auch der Mensch. Ich mache auch Fortschritte und der Teemaker ebenfalls. Es ist ein unglaubliches Gefühl diese Qualität der Veränderung in einer Tasse zu entdecken!

Als ich wieder in Zürich war, schickte mein Lehrer mir dieses Foto von dem steilen Garten. Für ihn ist unser Arbeit, die Tee nach der alten Machart festhalten wie die Teepflanzen zwischen den Felsen seinen Weg zu wahren. Wir können nur starke Wurzeln bilden, um zwischen Steinen zu stehen. Schritt für Schritt, auf den Teeweg weitergehen. Wenn die Zeit reif ist, werden viele Hirsche in Zürich prächtige Kronen tragen, wo die Teeblätter sprießen.

Das ist der Grund, weshalb der Gukeng Oolong 2019 der Jubiläumsoolong Shui Tang ist. Ein außergewöhnlicher Garten mit allen Bedingen, was man von einem Teegarten träumen kann und ein gereifter Teebauer zugleich Teemaker, der inzwischen seinen Weg gefunden hat. Alles für ein Jubiläum eines Geschäft an einem Ort, wo eigentlich keinen Tee getrunken wurde.

Wenn Dante zum Tee am 20.12.15

Dante skizzierte im 14. Jahrhundert über seine Vision in drei verschiedene Welten der Erde zu reisen. Hölle, Läuterungsberg (Fegefeuer) und das Paradies. Diese Vorstellung widerspiegelt gleichzeitig das verschiedenen Stadien des Lebens: Krise, einen Ausgang suchend und die Vereinigung mit dem selbst. So sieht sich Dante selbst und seine Aufgabe als Scgreiber. 
„Ich habe Dir vorgelegt, nun musst du speisen,
Denn ich muss meine ganze Sorge wenden,
Auf jenen Stoff, zu dem ich Schreiber gemacht wurde.“ (Par.X, 25-27)
Die Dichtkunst ist ein Werkzeug, ein Gefäss (im Sinne von Jung), ein Weg, mit dem jeder Mensch versucht, seine Probleme zu lösen und zu transformieren. In diesem Prozess bekommt der Mensch Ahnung und Erkenntnisse, wer er ist, was er tut und wie er wird, also eine Individualisierung. Dadurch wird ein Individuum gestärkt, im ganz gewöhnlichen Leben Gegensätze zu vereinen und mit All zu harmonisieren.
Dieses Gefäss und dieser Weg scheint in heutiger verwirrender Zeit noch dringender denn je. Die Radikalisierung des Eigenen und Verteufelung des Anderen haben dieselbe Wurzel, wir könnten es als Identitätskriese nennen und den Verlust vom Individuum deuten.
Auch Tee wird als ein Weg bezeichnet. Dieser Teeweg wird für viele Menschen aus verschiedenen Sprachräumen und über Kulturgrenze hinaus als Möglichkeit gesehen, einen blühenden Garten aus einem so genannten gestressten Alltag – einer vertrockneten Wüste vergleichbar, aufbauen zu können.
Was geschieht auf diesem Teeweg?
Wenn Dante über die Zeitkanal überschreiten würde und ins heutige Zürich käme, wie würde er sich wohl bei einer Tasse Tee sehen oder fühlen? Was würde er wohl zu dichten, beginnen?
Veranstaltung in Shui Tang
„Wenn Dante zum Tee?“
Diskussion und Austausch.
Geleitet von
Brigitte Eggerhttps://www.youtube.com/watch?v=kjnwecpdbDY
Menglin Chou
Sonntag am 20.12. 2015, 16 Uhr

Eintritt frei. Anmeldung jedoch erwünscht.

Dante

Dante Paradiso Canto 27 Illustration Botticelli (no 66)