Archiv für den Monat Juli 2013

Chofu – Ting Feng 聽風, Die Brise zuhören

Eigentlich wollte ich wieder Mal allein zu Ulrich gehen, wieder einmal Chabako machen, wieder einmal schauen, ob mein Fuss wieder alles im Teeraum mitmacht. Als Tim es erfuhr, wollte er unbedingt mit. Als Michael es erfuhr, wollte er unbedingt mit. Am Ende wurde es eine kleine Truppe.
Seit einigen Zeit beschäftigt mich das Gedanke von Weitergabe – ein Spiegel meiner eigenen Tätigkeit in Shui Tang. Es wird immer mehr angefragt, ob es mehr Unterrichten gibt, ob es möglich wäre, dies oder jenes zu lernen. Ich sehe mich ungerne als eine Autorität und würde freiwillig darauf verzichten. Aber wie lange noch und wie sehe ich meine eigene Rolle in diesem Kontext?
Der Film THE GRANDMASTEr von Wong Karwei bracht mir viele Funken für die Zukunft. Ich kann es zwar riechen, aber noch keine Vision. Das, was ich in Yunnan auf den Bergen erlebte, war der pure Ausdruck von einem Machtsystem eines Patriarchats, das von dem Zement von Wissen, Macht und Geld lebt und es zu Höhepunkt bringt. Was bedeutet teilen, was bedeutet Weitergabe und was ist Wissenübermittlung?
Wind, wird gerne als eine Form von Unfassbarkeit und als Ausdruck der Freiheit in der chinesischen Kultur verstanden. Wenn sich viele Menschen versammeln, wenn eine heisse Diskussion stattfindet, freut man sich auf eine Brise, frische Brise. Frische Brise wird erst wahrgenommen, wenn die Anwesende zuhören und miteinander harmonisieren können. Eine frische Brise strömt durch den Raum und in dem Zuhören der Brise wird der Geist erfrischt und besänftigt.
Nach dem schmerzhaften Knien auf Tatami unterhalte ich mich gerne mit Ulrich. Wir unterhielten uns über das Grossmeister-System von unserer Teeschule. Eine Patriarchat verlangt eine absolute Loyalität. Was ist eigentlich „loyal“? Was bedeutet Loyalität in einem feudalen System und in der heutigen Zeit?
Ich seufzte. Seit ich ein Kind bin, liebe ich Tragödie, vor allem Geschichte über Helden, die glauben ihr Schicksal nicht verändern zu können. Diese Helden sind vielleicht auch ein Kontrukt von meinem inneren Mann, der verzweifelt gegen das Schicksal kämpft und nicht wusste, dass es ausser dem Kampf noch andere Entwicklung im Leben hat. Eine meine Lieblingsfigur ist ein Prinz, der vor 1400 Jahren in der kriegerischen Zeit Chinas lebte, der zwar den Frieden durch Siege schaffen wollte und aber ermordet wurde – von dem Neid des Bruders – der König. Er war so schön – es war so wie so eine spannende Zeit, es gab so viele überlieferte schöne Männer, dass er im Schlachtfeld immer eine Maske trug. Mit diese erschreckende Maske konnte er sein schöne Gesicht verstecken und Kriege erfolgreich führen. Aus ihm ist ein Tanz-Theater Lan Ling Wan Ru Zhen Qu 蘭陵王入陣曲entstanden. Um seine Soldaten zu ermutigen, um die Erinnerung an Sieg wach zu rufen entwarf er, ein schöner Prinz, erfolgreicher Krieger und natürlich auch ein gut ausgebildeter chinesischen Aristokrat, der Tanz, Musik und Literatur beherrschte, das Werk. Dieses Stück verliefert jedoch in China seine „Ernsthaftigkeit“ und wurde dann von Kaiserhof verschmäht. Am Ende wissen die Chinese selbst nicht mehr, wie das Stück vorgeführt werden kann. Die Japaner lernten das Stück in jener Zeit kennen, brachten es nach Japan, während es in China immer unbedeutend wurde. Bis heute wird das Stück in Japan im Tempelfest, in nationalen Theater durchgeführt. Sogar wurden sie nach China eingeladen und vor dem Grab dieses Prinzen noch einmal im 21. Jahrhundert gespielt.
Was dachte wohl der Prinz im Grab, als er diese Vorführung sah?
Ich sagte zu Ulrich, das wertvolle in China verlorene Stück kann nur in Japan konserviert werden, weil es so ein Patriarchat-System gibt und eine absolute Individualisierung verweigert. Ansonsten würden wir heute etwas sehen, was nie einmal war. In Westen könnte so etwas nie aufbewahrt werden – auch nicht einmal in China selbst. Ulrich sagte nicht viel dazu, nur: „Es funktioniert nicht mehr. Die Rolle des Lehrers muss modern interpretiert werden. Ich bin ein Begleiter, nicht mehr.“
Ich spürte eine Brise.
Eine Brise, als ob jemand etwas zu mir zuflüstern würde, als ob ein Fenster öffnet wurde. Eine Brise zündet noch mehr das Fackel. Solange ein Fackel brennt – wie meine Grossmutter sagt – kann jeder den Weg nach Hause finden.
Hier poste ich gerne eine neue Interpretation von dieser Tragödie des Lan Ling Wang. Das Tanztheater wurde heute China Rock:
http://www.youtube.com/watch?v=47gpB0wciBU
… und mit meinem Lieblingsschauspieler Feng Shaofeng und von meinem Lieblingsband May Day gesungen.

Sommerselektion von Shui Tang

Die Sommerselektion von Shui Tang ist nun online!
http://www.shuitang.ch

Ein milder weißer Tee aus dem besten Pflueckgut, das innere Hitze sediert und ein Hauch von Entspannung am sommerlichen Abend verleiht.
Ein Oolong, der zum Loslassen und Versöhnung in der hitzigen Stimmung einlaedt.
Ein Pu Er aus dem wertvollen Two Leibes and One Bud von sehr alten Teebauemen von Yiwu Bergen stammt, vermittelt uns die suesse Seite des Lebens!

Euch wünsche ich einen genussvollen Sommer!
Ich freue mich sehr auf meinen Ferien!

Dichte Beschreibung

Ein Lachen ist ein Lachen. Was sagt eine Beschreibung über Asien: „das Land des Lächelns“ aus?
Ein Lachen ist bloss ein Lachen. Ein Lachen plus eine Betrachtungsweise ist nicht nicht bloss ein Lachen, sondern ein Code. Ein Code, das decodiert wird und recodiert wird – von Sender und Interpret. Dieser Vorgang beschreibt der US-Wissenschaftler sehr prägnant: „ein bißchen Verhalten, ein wenig Kultur und – voilà – eine Gebärde“.

Ein fremder Besucher am Samstag fragte mich, was ich studierte. Ich konnte nicht beantworten. Diese Frage ging zu nah an mir. Soziologie und Germanistik sind nicht schwer auszusprechen, aber was ich genau studierte…
Ich erzähle meine Geschichte immer wieder anders. Ich erzähle Tee gerne immer wieder anders. Immer wieder anders, weil ich mich immer wieder anders werde. Ich entdecke immer wieder andere Teile in mir, die mir zuvor fremd waren. Und durch jede Begegnung mit dem fremden Teil in mir werde ich erneuert.
Wer ist denn nicht so?
Alexander sollte morgen seinen Vortrag bei Teeclub halten. Ich möchte sehr gerne dabei sein. Weil diese Reise mir sehr viel bedeutet. Während ich seinen sehr gut vorbereiteten Text lass, gingen viele Lichter in mir auf. Wir waren zwei fremden Menschen die in einem fremden Land einreisten, sogar gemeinsam, aber wir würde diese Reise unterschiedlich beschreiben weil wir so geprägt sind durch unsere kulturellen Muster! Was für eine Entdeckung?
Tee verbindet uns. Aber unsere kulturelle Grenze makieren verschiedene Pfade!
Ich hasse solche Aeusserung wie „das Land des Lächelns“ oder „geheimnisvollen Tee“. Solche Sätze findet man überall in Werbungen oder Bücher. Ich bin eine Asiatin, die gerne im Europa in einem bestimmten Kontext zugeschrieben werden! Exotisch und erotisch verfügbar! Das Objekt, was zu entdecken und zu konsumieren bedeutet liegt gerade in solchen Aussage. Tee ist nicht geheimnisvoll, er spricht einen klaren Text. Was kann er dafür sein, wenn Du ihn gerade nicht verstehst?
Genau wie ich meine Reise beschreibe, wird die gleiche Reise unterschiedlich beschrieben.
Der Unterschied reflektiert die kulturelle Grenze und Haltung zu dichten Beschreibung wie wir Fremdheit thematisieren.
Im Moment bereite ich Texte vor für das Vollmondkonzert im Herbst. Da wollen wir in Shui Tang musizieren, rezitieren und erinnern. Während ich die Gedichte über fremden Frauen in für sie fremden Land – China von 3. Jh und 8. Jh. vorbereite, wurde es mir immer klarer, dass es ein Stück mich selbst reflektiert. Plötzlich wurde ich gelähmt und konnte nicht mehr weiter daran arbeiten. Ich leide über Wochen und werde krank, weil ich gegen diesen Text kämpfe. Mein Unterbewusstsein wusste, dass ich eine Geschichte über mich selbst rezitiere. Ich weiss nicht, welch Stück von mir preisgegeben werden will, welches nicht. Plötzlich wurde es mir klar, je mehr Widerstand ich gegen etwas leiste, desto wichtiger ist diesse Sache für mich.
Wie konnte ich dem fremden Besucher erzählen, dass ich Fremdheit in meinem Studium verarbeitet habe. Meine Fremdheit, die Verwirrung in einer etablierten Gesellschaft wie in Deutschland auslöst und die in mir meine eigene Selbstfindung verwirklicht.
Was heisst Kultur? Was heisst Tee?
Wie beschreibst Du eine fremde Kultur? Wie beschreibst Du Tee?
Wenn das Verstehen von Kultur über ein Bedeutungssystem in uns stattfindet, ist somit diese Artikulation eine Reflexion. Tee zu beschreiben ist genau so über die Akte des Selbstreflexions!
Ansonsten – wozu gehst Du auf Reisen? Wozu trinken wir Tee? Nur um zu geniessen? Vielleicht viel mehr…

Reiseberichte und der postkoloniale Blick

Ich komme aus einer kolonialisierten Insel und habe in ehemaliger kolonialen Macht studiert.
Eine meiner Magisterprüfungen handelte sich um eine Thema:
„Reiseberichte über China in der deutschen Literatur.“ In dieser 4-stündigen Klausur habe ich die beste Note trotz meinen Grammatik-Fehler erhalten…

Es war eine andere Zeit meines Lebens, als ich noch auf der Identitätsuche war. In diesem Studium habe ich verstanden, wie und warum die hiesigen Menschen mich und meine Herkunft so wahrnehmen. Irgendwann wurde ich bewusst, dass auch ich den postkolonialen Blick nicht vermeiden kann und ihn selbst verinnerlicht habt!
Jeden Tag werde ich in Shui Tang mit diesem Blick konsumiert.
Jedesmal wenn ich nach Asien gehe, betrachte ich mit einem distanzierten Blick und oft sehr kritisch.
Immer wieder wenn ich eine Tasse Tee aufbereite, suche ich einen Punkt, um alles um mich noch einmal zu reflektieren.

Weil die hiesigen Menschen, die mich kennen, mich nicht mehr als ein reiner Exot betrachen, reden sie auch so mit mir, wie mit einem von ihnen. Oft ist es sehr unreflektiert, was kulturelle Ueberheblichkeit angeht. Ich schweige meistens. Es ist nicht mein Problem für dieses Nicht-Reflektieren zu verantworten. Ich rege mich auch nicht auf, weil es nicht mein Problem ist, dass die anderen Menschen unbewusst durch ihr Leben gehen.

Ich erinnere mich an die immer kehrenden Szene in Bergen Yunnans. Die Pflückerinnen lächelten schüchtern, aber sehr entschlossen – sie wollten nicht fotografiert werden!! Sie wollte nicht. Sie sprang aus dem Baum runter und rannte weg. Meine Gruppe reagierten wie Bienen und Flieger auf sie und blitzen und blitzen.
Ich schaute zu. Ohne Emotion und sagte auch gar nichts. Wozu? Das Mädchen wusste sich zu wehren. Wir sind alle bloss nur Menschen. Wenn ich Europäer wäre, wäre ich ncht anders als mit diesen Blick durch die Welt zu gehen…
Zufällig gestern Nacht entdeckte ich diesen interessanten Beitrag:
http://www.teetalk.de/topic/1229-reiseberichte-darjeeling-und-nepal/?p=13260

Teeforum interessiert mich nie. Ich bin ja kein Teefreak. Aber dieser Teebegeisterter Paul schrieb ein Thema an, was in mir Resonanz fand: Tee, Kolonialismus und Reise…
Das ist der Grund, weshalb ich meine Reiseeindrücke anders thematisiert und warum ich Texte über Tee anders schreibe – stets mit Reflexion. Mehr als über 20 Jahre lebe ich zwischen dem Osten und dem Westen. Es ist klar, dass ich die belden Blicke in mir habe – den kolonialen und den kolonialisierten… Ohne Reflexion wäre mein Leben ein Brei – ein Schlammschlacht! Wer könnte sich von diesem Schlacht entziehen in so einer vernetzten kommerziellen Welt?

Vortrag über Pu-Er Tees aus Yunnan mit Teeclub

Wer sich für unsere Teereise zu den alten Teebäumen interessiert, bietet der Vortrag von Alexander eine spannende Perspektive. Ich nehme an, dass er nicht über die schlimmen Klos und scharfes Essen referieren, sondern für seine Impression.

  • Pu-Er Vortrag diesen Donnerstag in Zürich
    Der Tee Club Schweiz hat mich freundlicherweise eingeladen, einen Bildervortrag über meine Reise nach Yunnan zu den alten Bäumen zu halten. Der Vortrag mit Teeverkostung findet am kommenden Donnerstag um 19:00 Uhr in Zürich statt. Dazu ist jedermann herzlichst eingeladen! Mehr Informationen zum Anlass findet Ihr hier.

EIne Veranstaltung von Teeclub Schweiz
Zeit: 19:00
Ort: GZ Altstadthaus, Obmannamtsgasse 15, 8001 Zürich
Mitglieder: kostenlos
Gäste Club-Mitglieder: 20.-
Nicht-Mitglieder: 20.-

Profile der Taiwaner in RTI

Sehr geehrte Frau Chou,

die Sendung mit ihrem Interview kann nun online gehört werden. Unter diesem
Link http://www.rti.org.tw/ajax/RtiwebPod/German_VOD.aspx brauchen Sie nur
auf das Datum vom 6. Juli und dann auf eines der Icons neben „Profile der
Taiwaner“ zu klicken.

Vielen Dank noch einmal für das interessante Gespräch und alles Gute für die
Zukunft!

Viele Grüße

Sebastian Hambach

Ich wünsche Euch viel Spass bei Hören von diesem kurzen Gespräch. Leider kann ich selbst nicht hören, weil mein Computer immer noch streikt.
Es ist lustig für mich, dass ich durch Shui Tang und meine Arbeit inzwischen von Aussenwelt anders wahrgenommen werde. Ich bin immer noch ich – was ist dabei anders geworden?
Eigentlich gar nichts. Aber die meisten Menschen interessieren nicht, dass Du immer noch dieselbe Person bist. Sie interessieren sich für Storys.