Archiv für den Monat Oktober 2009

Der Zauber von Shui Tang

„Ich weiss nicht, ob ich vor Weihnachten noch einmal nach Zürich schaffe – aber vergessen Sie mich bitte nicht!“

Wie könnte ich es? Wie könnte ich einen Unikat vergessen? Nicht nur ich, sondern auch die Teefreunde in Shui Tang, die letzten drei Tagen diese besondere Person kennen lernten.

Er sagte, dass er bereits im Sommer 2 Male vergeblich vor der Tür von Shui Tang stand und erst bei drittem Mal rein spazieren dufte. Unsere erste Begegnung war ein provokatives Gespräch. Er wollte Sencha und ich fragte ihn, ob er nicht eine andere Herausfforderung annehmen würde – ein merkwürdiges Kundegespräch bei Menglin, nicht wahr?

Er nahm die Herausforderung an und trank den Qilan Dancong Shuixian 2008. „Was für einen widerstandsfähigen und verbindlichen Tee!“ rief er. Was für eine Sprache? Was für eine Analogie?

Diesmal sprachen wir über die Unterscheidung zwischen Kunst und Handwerk. Das Thema interessiert mich im Moment inbesonders, da ich das Buch von Yanagi „Die Schönheit der Einfachen Dinge“ lese. Die besonderen Klienten von Shui Tang, die besondere Ansprüche haben, erlauben mir nicht einzuschlafen. H. sagte mir ganz klar, dass die Kunst nichts mit Handwerk zu tun hat. Kunst hat etwas, was mein Großvater einst versuchte zu pflegen – Nutzlosigkeit. Kunst hat keinen Gebrauchswert. Die Kunst steht für sich selbst allein und spricht für sich selbst.

Das Leben ist schön, weil es nicht ein Nutz geben muss. Der Tee ist schön, weil Tee uns nichts bringt, sondern Anstrengung. Wir müssen uns anstrengen, um Tee zu verstehen, um Tee für sich sprechen zu lassen. Nutz hat er nicht, nur Schönheit…. Ist es nicht ähnlich wie die Liebe? Die Liebe bringt einen durcheinander und verursacht Ärger und Anstrengungen. Darum haben wir so viel Angst, vor Verletzung und Abweisung. Darum lieben wir lieber nicht. Liebe ist nur zu lieben schön. Es ist schön, weil es kein Nutz und keine Bedingung existiert. Wenn man eine Bilanz ziehen will, dann lieber liebe es nicht.

Mein Besucher aus fernen Osten, kommt ursprünglich aus hohen Norden. Wir haben alle nicht daran geglaubt, weil ein Hamburger – es ist doch trocken, distanziert und langweilig, nicht wahr? Aber unser H. ist brilliant, schlagfertig und humorvoll. Wir lachten ununterbrochen am Tisch und wurden bestens unterhalten. Seine Kommentare zum Tee ist druckreif. Der Sijichun sei so versöhnungsvoll – lieb und nicht abweisend. Da es am Freitag neblich kalt war, war dieser Tee die Versöhnung des Tages.

Er lobte meine Kleidung, meinen Stil und meine Anmut – wer hätte nicht gerne Komplimente – vor allen eine älternde Frau? Er bewunderte die Mayou, die Orgel- und Pianistin von Frauenmünster. Mit jedem Anwesenden entstand ein geistreiches und spannendes Gespräch. Die vorher unbekannten Menschen wurden später Vertrauten. Mit Chragi wußte er über Kunst und Design zu unterhalten. Mit Sandro und Mayou über das Cocktail der Religionen und die Wege der Moderne. Mit Josef und Michel über die Verwahrlosigkeit der deutschen Sprache. Was bedeutet „geil“? Wir wußten nun ab heute besser! Michel sagte, es hat sich gelohnt, so früh aufzustehen!

Aber wer diese Person ist? Hubert fragte mich am Donnerstag, ob ich nicht schon gegooglt habe? Sicher…. Aber ich finde einfach nichts! Das macht die ganze Geschichte noch spannender!

Er sagte einfach nicht sehr viel über seine Herkunft, seinen Werdegang und wo er sich in diesen Tagen in Zürich aufhält, antwortet er nur, „Im Zürcher Berg.“ Josef fragte ihn, ob er einmal tätig war an der Uni. Er sagte, „Ja, so etwas Ähnliches.“ Spannend.

Am Ende sagte unser Besucher, dass er 3 Sessionen gesessen hat. Es war für ihn ein Erlebnis. Wie schön, dass es Shui Tang gibt!

Was für ein Zauber ist es in Shui Tang, unbekannte Menschen zueinander zu führen?

Wie schön, dass es Menschen gibt, die Shui Tang besuchen, diesen Ort bereichern und beleben! Eine starke Dankbarkeit spüre ich im Herzen und freue mich, auf jeden Besuch!

Suche nach Fremdheit

Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich die rastlosen Vögel im Herbstwind, ratlos nach einem ruhigen Ast suchen.

Mitte September bekam ich einen unerwarteten Anruf, der mich genau an die frühere Zeit erinnerte. Es war eher ein Hilfsruf als eine Erkündigung nach dem Wohl eines alten Freundes. Ich wusste, dass er wieder unter der Depression leidet. „Was suchst Du?“ „Ich suche nach der Fremdheit.“ „Ich auch.“

 

Fremdheit, nichts anders als Herausforderung. Fremdheit überfordert einen, der nach Halt und Rahmen suchen. Fremdheit braucht einer, der nach Grenze des eigenen erkündigt.

Ich fragte einmal meinen Lehrer Atong, was ist es eigentlich, das ihn noch an Tee fasziniert. Atong ist nicht so gut gebildet, dass er mir genau „die Fremdheit“ nennen kann – er antwortet, der Spaß verloren zu können im Wettstreit mit der Natur oder mit sich selbst. Jedes Jahr bekomme ich Auftrag, einen ganz banalen Oolong zu besorgen. Fancy Oolong findet man überall im Teegeschäft und tatsächlich kein Geheimtipp eines Teeliebhabers. Als dieser Auftrag in diesem Jahr wieder erteilt wurde, bekam ich ein merkwürdiges Muster, das mich keineswegs nach Fancy Oolong erinnert. „Was ist das denn?“ „Das ist der Formosa Oolong vor Hundertjahren – der Formosa Oolong, der nach Amerika ging und den Weltruhm genoss.“ Leicht gerollter schwarzer Drachen, blumig honigsüss in Tasse. Leicht brotig und vollaromatisch. Ich sah ein goldenes Reisfeld voller Ertrag. Die hängenden Reisstroh schwingen im leicht kühlen Herbstwind. „Eine Herausforderung für Dich und Deine Spionen, nicht wahr?“ scherzte ich zu meinem Lehrern. „Weiß Du, man muss solche Felder zuerst wieder finden!“ Solche Felder ähnlich wie vor Hundertjahren, halb verwildert, praktisch nicht gepflegt und vergessen. Vergessen haben auch die meisten Teebauer, solche Materialien richtig zu verarbeiten. Vergessen haben auch die Pflückerinnen, die im heißen Wetter mühselig die bröseligen vergilberten Teeblätter zupfen. Wer gibt heute noch die Mühe? Und alles noch ohne Klimatisierung und ohne technische Manipulation. Fremd oder vertraut?

Atong lachte und ist überzeugt von der Einmaligkeit dieses Werkes – Wieder- Erfindung einer Fremdheit. Wie überzeuge ich denn meine Klienten im Europa im 21. Jahrhundert, die ihn nicht einmal kannte wie er einmal war. „Sehr fremd, aber sehr schön! Noch nie erlebt.“ Fancy Oolong Nostalgie – ich nennen diesen fremden Oolong inzwischen so, gleicht eine Kreuzung zwischen Gestern und Heute, zwischen eigenwilliger Natur und manipulierenden Menschen und zwischen Vertrauten und Fremden. Ein Durchgang zur neuen Verortung.

Flughafen oder Bahnhöfe sind beliebte Orte für mich, anderen zu treffen. Eine Heterotopie zwischen Gestern und Heute, zwischen Dort und Hier. Ich halte mich nur kurz auf, um Vorbeikommenden zu treffen. Keine Verpflichtung und keine Versprechung. Wir verabredeten uns genau an solchem Ort. Damit wir wieder erleichtert in verschiedenen Richtungen gehen können. Das Leben, was einst verstrickt war, trennt sich heute Meilen weit. Er jammerte. Wie kann man denn jammern, wenn man ein prächtiges Anwesen, eine Frau und eine Katze, sogar noch mehr besitzt? Genau deswegen. „Ich suche nach Fremdheit.“ Ich auch. Und noch mehr. „Ich suche nach dem Bedingungslose.“ Sagte er. Aber all was da ist, ist bedingt. Eins bedient den anderen.

Nur wenn Du A bist, bin ich B. Nur wenn Du A gibst, gebe ich auch Preis…

Was ist, das zeitlos bleibt? Was ist, das Bedingungslose ist? Die Frage ist nichts anders als das, „Ich suche nach Liebe. Wahre Liebe. Aber ich finde sie nicht.“ Ich seufzte. Ich hörte nur zu und wusste nicht, ihn zu trösten. Alles, was geschah, ist gut – so denke ich immer. Es hat einen Grund, auch wenn ich ihn heute nicht verstehe. Das Bedingungslose kann man vielleicht nicht nach Außen verlangen. Was ist denn mit uns selbst? Er sagte, er lebe lieber in der Illusion als Ent-Täuscht zu werden. Wenn die Illusion einmal auffliegt, ist nichts anders mehr als nur das Vertraute, das Banale…

 

Ich sagte ihm, was mich an Tee fasziniert, ist genau die unerschöpferische Fremdheit. Was ich beim Menschen oft nicht finde, finde ich im Tee. Es dufte nichts anders als in der Wissenschaft. Die Fremdheit, die sich immer wieder erfindet! Tee, ein Getränk, ein Begriff, eine Welt – aus tausenden verschiedenen Pflanzen, aus unendlicher Vergangenheit und aus einem unbeendeten Spiel zwischen Menschen und Natur – enttäuscht mich nie. Unversiedelter Quelle der Inspiration und des Raums vermitteln mir eine Freiheit, mich zu entwickeln. Ich suche auch nach dem Bedingungslose, auch wenn es heute noch unauffindbar erscheint, weiß es im Dunkel dass es gibt. In dem Bedingungslosen steckt eine Freiheit für Menschen, die Fremdheit zulässt, sich immer wieder zu erneuern. Shui Tang ist mein Versuch, diese Suche mit anderen zu teilen.

 

Die eisernen Vögel sollten uns wieder auseinander bringen. Plötzlich fing ich an zu weinen. Selbst wurde ich überrascht von meinem Weinkrampf. Er war geschockt und konnte nur meine Hände festhalten. Ich zitierte ihm sehr leise das Herbstgedicht von Li Bo. „Ich habe Heimweh und es ist so hart im Moment. Ich weiß wirklich nicht, ob wir uns jemals wieder sehen!“ „Ich komme, wenn Du mich rufst. Mein Versprechen.“ Er hielt mich ganz fest. Ich konnte in Armen eines wahren Freundes richtig weinen. „Du bist so vertraut!“ weinte ich.

Ich flog weiter nach Nürnberg, während das andere Vögel in eine andere Richtung flog.

三 五 七 言   

 
秋風清,秋月明,
 
落葉聚還散,寒鴉棲復驚。
 
相思相見知何日,
 
此時此夜難為情                                                        Li Bo 李白   

 

Sein lassen oder nicht sein lassen

Jedes Mal wenn ich in sein schönes Büro kam, bewunderte ich seine verstaubten Sammlungen. Er interessiere sich nicht mehr für sein einstige Zuneigung zum Porzellan. Die schönen alten Porzellan-Kanne aus fernen Ost stehen einfach ganz oben im Staub. Dann scherzte ich, dass diese Kostbarkeiten irgendwann im Brockenhaus landen würden, wenn er mir nicht gebe. Ich werde sie verkaufen, sie unter unter den Händen bringen, die sie berühren.

Er war nicht sicher, ob er seine Sammlungen sein lassen sollte oder nicht sein lassen sollte.

Ich bekam tatsächlich paar Kannen. Er habe Zweifel, ob sie echt sind. Es war ihm damals egal, denn er entzückt war von der Authentizität und Spontanität der einfachen Dinge. Diese Teekanne waren damals keine Kostbarkeit. Es war gemacht für das einfache Volk, das Tee als Getränk verstand, anstatt als Genuss.

Mich berühren schönen einfachen Dinge. Dinge zu sammeln lernte ich als Kind von meinem Großvater, der Stein, Kalligrahpie und andere nutzlosen Dinge sammelte. Die Dinge, die er jahrelang sammelte, verschimmeln nun irgendwo in meinem Elternhaus oder im Blumentopf. Dies macht mir irgendwie klar, dass das Sammeln ähnlich wie bei Bankwesen funktioniert – als Blockade. Das Kapital ist so scheu wie ein Rehe, weil sie Angst haben, etwas zu verlieren, darum hocken sie auf das Geld… Irgendwann stinkt das Masse von dem so genannten Geld, wenn das Masse sich nicht mehr bewegt und fliesst. Wie bringt man wieder diese Blockade zum fliessen? Durch Handeln und Handeln!

Darum handele ich gerne. Das Geschäft machen bringt alles wieder im Fluss! Ich bringe A zu B und B bringt C zu mir, damit ich D wieder zu E bringen kann! Wie wunderbar!

Wahrscheinlich ist ein Geschäftsmann gut, wenn er nichts dauerhaft besitzt.

Da ich schon immer gerne alten einfachen Dinge habe, sammle ich viele viele Bücher, die das versteckte Wissen speichern. In einem diesen Büchern fand ich ähnliche Handschrift und ähnliche Malstil von den alten Teekannen. Es war mir bewusst, wie kostbar diese Dinge sind. 

Nun ist es mir klar, ihn zu überzeugen, die Kanne nach Taiwan oder Hongkong zu bringen, bringt wohl eine Menge Geld. Dann landen diese Kanne irgendwo in einem Vitrine von einem Sammler, der stets nach der Kostbarkeit in einem Geschäft fragt. Nach seinem Tod landen diese Kanne irgendwo im Staub oder im Brockenhaus oder weiter in irgendeinem Vitrine. Wer benutzt sie denn? Wer lässt sie wieder in ihrem ursprünglichen Sinn leben? Nur die Menschen, die sie als schöne Teekanne sehen und als Teekanne weiter benutzen wollen. Als ein Teil des Lebens anstatt ein Teil der dekorativen Attribute.

Ich verkauf diese schönen einfachen Kannen in Shui Tang. Sie werden schon ihren neuen Herr finden, weil sie einfach und authentisch sind – für den täglichen Teegenuss!

Haben Sie nicht noch etwas Kostbares?

Eine neue Celadon Schale mit dem so genannten Yoshino Rot. Das dezente charmante Yoshino-Rot sei angeblich entstanden, als Yoshino, die große Entertainerin und Teekennerin, aus der Schale trank – und die Schale wurde entzückt von der Schönheit der Yoshino rot!

Das Yoshino-Rot zog zwei Menschen an und öffneten die Tür zum Shui Tang. Der Herr entzückt von der Schönheit des Celadons, während seine Frau unglücklich stand. Sie fragte mich, ob ich nicht noch Kostbares anzubieten hätte, als die hier herum stehenden gewöhnlichen Dingen.

„Inwiefern kostbar?“ fragte ich die ehrwürdige Dame.

„Zum Beispiel die Teedosen gewickelten in Kimono-Stoff.“

„Also, Chaire!“ Ich nickte meinen Kopf. Sicher hätte ich zwei, eine gewöhnliche und eine kostbare – alte. Aber warum sollte ich dieser Dame zeigen? „Sammeln Sie die kostbaren Dosen?“

Sie nickte ihren kostbaren Kopf.

„Ich hätte schon welche, aber ich verkaufe sie nicht.“ Sagte ich sehr bestimmt zu dieser edelen Person. 

„Sie Sind selbst ein Sammler?“

„Ich benutze sie.“ ich antwortete. „Ich könnte Ihnen paar kostbaren Dinge zeigen, weiss allerdings nicht, ob sie Ihrer Vorstellung entsprechen.“

Langsam öffnete ich den schönen Schrank, ein Ort der schönen Dingen. Ich kann sie verkaufen, muss aber nicht. Je nachdem, mit wem sie mitgehen wollen.

Die zwei edelen Personen waren entzückt von der kostbaren Dingen, die für sich selbst sprechen. Ihre Atmung war plötzlich sehr stil und die Augen wurden groß. 

„Sehr schön!“ riefen meine Besucher.

„Wissen Sie, gute Dinge sind rar. Rare Dingen werden gejaggt. Diese schönen Dingen wollen geliebt und benutzt werden. Sie dienen nicht als Dekoration!“

In dem gleichen Moment kam ein sehr vornehmener Herr. Ich kümmerte mich um die neuen Herrschaft. Meine edele Besucher bedankten sich laut, dass sie die Kostbarkeiten anschauen duften!

Ich nickte meinen Kopf als meine Antwort auf ihren Dank.

Der vornehmene Herr wollte zuerst nur Chrysathemenblüte, dann nahm alles, was ich ihm empfohlen habe. Dann nahm er noch die Celadon-Tassen. Dann fragte er noch nach all Besonderheiten, die in Shui Tang lagen. Er war entzückt von der Atmoephäre und von diesem Ort. Ich zeigte ihm die Jadekanne. Er rief, „Wow, so etwas habe ich noch nie gesehen!“ Ich verstand seine Empfindung gut. Er sagte, er wollte mit seiner Frau kommen, um die Kanne zu kaufen.

Ich schmunzelte. „Sie müssen einfach schneller sein als der andere Herr…“ – ein Herr, der seit drei Wochen immer wieder kommt, eine geheimnissvolle Erscheinung – er wollte auch mit seiner Frau kommen, um die Kanne anzuschauen. Das Problem ist, sie kam nie, immer er allein.

Anscheinend verstecken Männer gerne unter dem Deckmantel seiner Ehefrauen!

Der schöne vornehmene Mann hörte, dass die Jade-Prinzessin auch einen anderen Mitbewerber hatte. Nach 5 Minuten ging die Jade-Kanne mit ihm nach Hause. Er sah glücklich aus. „Benutzten sie diese Kanne?“ „Ja, sicher!“

Am nächsten Tag kam der geheimnissvolle Herr mit 1000 Sfr. Schein wieder und fragte nach der Jadekanne. „You know, she went home with an another Gentleman, who was clear in his mind with what he wants…“

To go or not to go?

Dank NZZ wurde Shui Tang bei den chinese Community bekannt. Viele Landesleute fanden den Weg. Ich wurde oft als Laobannian (Frau eines Chefs) angesprochen. Innerlich wehrte ich mich dagegen, wußte aber nicht ganz genau warum.

Jin sagte ganz deutlich zu mir, dass ich nicht Laobannian sei, sondern Laoban. Denn ich keine Frau eines Big Bosses sei, sondern selbst der Chef. Laoban – eindeutig – der Chef. Nicht mehr die Frau eines Chefs.

Ich fühle mich nicht als Chef, eher als Diener oder Haustier von Shui Tang. In diesem Ort führe ich ein anderes Leben, als das, was man sich als Chef vorstellt. Der geregelte Tagesablauf und die gezwungene Präsenz sprechen alles dafür, dass ich das Haustier geworden bin. 

„Fliegst Du nach Hause oder nicht?“, drängte meine Familie mich mit dieser Frage, ob ich zwischen den Jahren nach Taiwan fliege. To go or not to go? Ich kann mich nicht entscheiden, denn es zu viele unsichere Faktoren gibt. 

Plötzlich merkte ich, dass man sich im Leben manchmal nur für eine Seite entscheiden kann. Man kann in einem Raum nicht stets nach links und rechts gucken. Man ist manchmal entweder – oder. Ein hartes Erkenntnis für einen Menschen, der angebliche Freiheit liebt.

Jetzt bleibe ich einfach hier und diene Shui Tang und seine Gäste. Ein freier Raum steht plötzlich durch eine Entscheidung. Zum ersten Mal – seit ich unter den Fremden lebe, spüre ich Heimweh. Die Fremden sind schon längst eigentlich nicht mehr fremd.

Eine kleine Antik-Teekanne Sammlung aus dem letzten zwei Jahrhundert

„Egal was wir in Euopa essen, wir benutzen immer die Hände dazu, während man in Japan, sei man ein Kind oder ein Erwachsener, zwei Stäbchen benutzt;
Wir trinken nur frisches klares Wasser, während die Japaner ausschließlich heißes mit Bambus-Besen gerührtes Wasser mit Tee zu sich nehmen;
Wir betrachten Gold, Silber und Edelstein als wertvoll, während die Japaner alte Töpfe, kaputte Keramik und Steingut als Schätze aufbewahren.“
Luis Frois (1562), ein portugiesischer Jesuit

Warum braucht man eine Grasshütte, um eine Schale Tee zu trinken?
Warum bewahrt man solche kaputte Schalen und Kanne auf, um Tee zuzubereiten?
Warum sind solche Dinge mindestens so wertvoll wie Gold?

Eine kleine Einladung zur kleinen Antik-Teekannen Sammlung aus dem letzten zwei Jahrhundert in Shui Tang. Sammler HP R. Schwyz

Antik Teekanne 

Life-Balance

Jeder Mensch pflegt auf seine bestimmte Art, den Kontakt zu dem wahren selbst zu pflegen. Manche pflegen ihn mit Bücher, manche mit Yoga. Manche mit Kaufrausch und manche mit Kafeekränzchen. Manche mit Wein und manche mit Tee. Ich bräuchte unterschiedene Wege, weil meine Neugierde „unersättlich“ scheint.
 
Seit langer Zeit praktiziere ich Zazen und Tee. In letzter Zeit war es ein wahres Luxus geworden, diese beide Wege zu beschreiten. Meine Selbstliebe leidet total unter dem Stress mit Shui Tang.
 
Weil es eben menschlich ist, Gruppendynamik zu entwickeln und zu leben, existiert überall die Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Ihr“. Wenn man plötzlich mit dem Leben nicht mehr ganz klar kommt und manchmal nicht immer zustimmen, was gechieht, wird man plötzlich „out“. So geschah es in der Zen-Gruppe, in der ich praktiziere. Für sie wurde ich plötzlich „fremd“ – in meiner Wahrnehmung.
 
Wer ist denn gerne „out“? Wer ist denn gerne eine „Fremdlinge“. Diese Empfindung behinderte in der Tat auch meine Schritte zu meinem Praxis. Ohne das regelmässige Praxis – die Regelmässigkeit ist für jeden eine andere – ist der Alltag voll und manchmal erstickend. Ich atmete kaum wirklich. Nur Atmungszüge, ohne Saurstoff. Den Alltag zubewältigen ohne Inspiration und nur Routine. Der Kopf dreht  sich im Kreis und das Herz ist verstopft. Ich liebe mich selbst nicht mehr, weil das „Ich“ kaum einen Raum bekommt.
 
Mein verstorbener Lehrer Michel sagte mir einmal, weil er wußte, dass ich faul bin und viele Ausrede finden kann, um den Weg auszuweichen. „Gehe ins Dojo ohne Liebe und Hass , nur aus Gleichmut. Warum sollte man sich freuen oder leiden, wenn man Zazen machen will?“ Ist ein Mensch besser, weil er Zazen praktiziert? Sicher nicht. Innerlich spürte ich immer mehr den Drang, es weiter zu gehen. Was die anderen über mich denken und verurteilen könnten nur mich behindern, mich zu entwickeln – wenn ich es selbst zulasse, aber mich nicht behindern auf meinen Weg zu gehen. Die wirkliche Freiheit, den innere freie Willen, den niemand weg nehmen kann, verwirklicht die tatsächliche Unabhängigkeit des Ich. Das zu tun, was einen wichtig ist, nicht weil es gelobt und missachtet wird.
 
Es war eine der wichtigen Lehre von Michel, dass man unbeirrt es tut, was einen bedeutet, nicht weil es beliebt oder belohnt wird. Die „Absichtlosigkeit“ im Leben schafft mir eine große Freiheit.
Shui Tang wäre heute nicht dort, wenn ich Dinge stricke mit Absichten, um Menschen zu gefallen.
 
Ich ging wieder zum Zazen. Zuerst begegnete ich ausweichende und misstraurischen Blicke. Mein Kopf fing auch an zu spekulieren, was sie alles über mich denken konnten – ich kenne diese Gruppendynamik gut. Die meisten Menschen verraten nichts, nur durch ihren Blick, was sie über Dich denken. Dadurch bekommen wir nie eine Chance tatsächlich die Dinge zu klären. Vor allem in einer Gesellschaft, die auf das vermeintlichen Konsens aufgebaut ist. Nur selten dumme Menschen sprechen die Dinge direkt an und versuchen anderen Menschen Möglichkeiten zu geben, auszusprechen und zu streiten.
 
Mit Mühe bemühte ich mich innerlich nicht auf diese Blicke zu reagieren. Tatsächlich ging es für mich nur um das, was mich berührt und interessiert. Ein gutes Bild in Augen des Anderen und eine tolle Karriere interessieren mich in der Tat selten. Ich wollte nur den Kontakt zu mir wieder schaffen. 
 
Da ich nichts beanspruche und komme und wieder gehe, wurden die Blicke weicher und freundlicher.  Mit der Zeit werden Lächeln und Begrüßung werden ausgetauscht. Wir kannten uns eigentlich schon so lange. Wir sind in der Tat eins. Wozu die Trennung zwischen den Herzen?
 
Es ist interessant zu beobachten, was das Nicht-Bewegen bewirkt. Es ist wichtig zu wissen, dass man beobachtet wird und Demut braucht. In diesem Demut verbirgt eine Größe, eine
Kraft, zu helfen, sich nicht zu bewegen.
 
Mit der Zeit spüre ich wieder den Kopf, der nun ein bisschen leere Zeile bekommen hat. Ich kann Dinge wieder besser wahrnehmen und lesen. Diese aufgeräumten leeren Zeilen sind Räume für Kreativität und Inspiration für Shui Tang. Es ist schwierig, Life-Balance zu erhalten. Für mich ist Shui Tang in wahrsten Sinn des Wortes die Prüfung des Lebens. Ich stelle mich dieser Prüfung. Eine gute Herausforderung.