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Gukeng 古坑 Oolong II

Der Garten ist steil und voller Felsen. Ein bequemer Mensch würde dort keinen Tee anbauen. „Aber er schon.“ sagte Atong mir in diesem Frühling. Er sei sein erster Schüler, gab er zu. Für ihn gibt es eine Unterscheidung von Studenten und Schülern. Ein Schüler ist jemand, der das Handwerk von ihm konkret lernt und auch konkret anwendet. Ein Student ist jemand wie ich, der bloß den Tee mit Intellekt versteht. Er zeigte ihm wie er Tee produziert und wie er die Natur, die Zeit und den Tee zusammen in einem Kontext harmonisiert. Der Mensch wartet bis die Natur so weit ist und erst dann Teeblätter nimmt. Die Teeblätter verwandeln sich in der Zeit von sich alleine und entwickelt sich mit Hilfe von menschlichen Hände in einer bestimmter Richtung weiter. Die Zeit lässt diese Verwandlung geschehen. Der junge Schüler lernte das Handwerk und wollte dort Tee anbauen, wo gewöhnliche Menschen aufgeben. Er schaffte es und der Garten gedeihte. Aber er wollte Geld verdienen und zwar sofort.

So trennten sich der Meister und der Schüler. Man pflegte das nötige Respekt voreinander, mehr nicht. Die Wege kreuzen sich nicht, wenn das Herz nicht das Gleiche sucht.

Irgendwann hat ein Wandel stattgefunden. Der Schüler machte seine Erfahrungen in dem konkreten Kapitalismus. Zwischen Geld und Zufriedenheit entwickelt sich immer mehr Risse. Vielleicht hat er auch genug verdient. Vielleicht war es ein Midlife-Crisis. Vielleicht war es nur eine Suche. Das Herz schlug wieder in die andere Richtung, in der Meister und Schüler sich begegnen.

„Seit fast zehn Jahren besucht er mich wieder regelmäßig.“ Atong holte einen Gukeng 2004 aus seinem Schatzkammer, „Der Garten ist außergewöhnlich! Ein Traum. Richtung Südosten. Steil. Viel Sonne. Viel Nebel. Viel Steine.“ Und seit 1981. Der Meeresspiegel liegt zwischen Dongding Berg und Alishan! „Ach, nicht so hoch.“ Atong schaute zu mir, „Bist Du noch abergläubisch?“ „Nicht ich, sondern meine Kunde. Sie wollen Hochlandoolong.“ „Dann erziehe sie, bis sie merken, dass die Qualität eines Tees nichts mit der Lage auf dem Papier zu tun hat!“

Der Gukeng Oolong 2004 liegt zwischen „der Zeit“. Er reift noch. Der Geschmackt erzählte mir, wie die Zeit mit ihm arbeitet. Blumen blühend, Pflaumen reifend. Lebendig und tanzend auf meine Zunge. Was für ein Gemälde oder besser gesagt, was für einen Sommer bei Vivaldi! „Aber ich schmecke etwas Zusammenziehendes im Mund. Was für einen Fehler war damals?“

„Nicht ein wirklicher Fehler, sondern ein Macke. Er war zu jung und zu ungeduldig und der Hang ist zu steil.“ Seine Augen schlossen fast zusammen. Steiler Hang? „Aber der Gukeng 2019 schmeckt nicht so. Er ist charaktervoll, aber nicht eckig.“ Atong machte seine Augen groß. „Merkst Du? Merkst Du es?“ Ja, ich merke es. Ich merke es plötzlich auch, warum. Die Zeit wirkte.

Die Zeit fließt in den Tee hinein. Nicht nur dass der Tee reifen kann, sondern auch der Mensch. Ich mache auch Fortschritte und der Teemaker ebenfalls. Es ist ein unglaubliches Gefühl diese Qualität der Veränderung in einer Tasse zu entdecken!

Als ich wieder in Zürich war, schickte mein Lehrer mir dieses Foto von dem steilen Garten. Für ihn ist unser Arbeit, die Tee nach der alten Machart festhalten wie die Teepflanzen zwischen den Felsen seinen Weg zu wahren. Wir können nur starke Wurzeln bilden, um zwischen Steinen zu stehen. Schritt für Schritt, auf den Teeweg weitergehen. Wenn die Zeit reif ist, werden viele Hirsche in Zürich prächtige Kronen tragen, wo die Teeblätter sprießen.

Das ist der Grund, weshalb der Gukeng Oolong 2019 der Jubiläumsoolong Shui Tang ist. Ein außergewöhnlicher Garten mit allen Bedingen, was man von einem Teegarten träumen kann und ein gereifter Teebauer zugleich Teemaker, der inzwischen seinen Weg gefunden hat. Alles für ein Jubiläum eines Geschäft an einem Ort, wo eigentlich keinen Tee getrunken wurde.

Gukeng Oolong und Vivaldi – I

Ich gebe zu, ich habe Vorurteile. Vorurteile gegenüber Musik von Barock (natürlich habe ich noch viele andere Vorurteile). Warum? Die Zeit in Barock war eine krieg-reiche und von Pest verseuchte Zeit. Eine Zeit, in der Menschen starben und verrecken am Ecke der Strasse. Während das Leid der Menschheit herrschte, begleitete die Musik das Tanz im Hof. Das bekannte Stück von Vivaldi „Vier Jahreszeiten“ hatte ich kategorisch vergessen – bis zum Sonntagabend.

So viel Lebenskraft und menschliche Gefühle sprudeln aus den Noten. Sie versetzten mich nach Venedig. Venedig war für mich ein besonderer Ort – ein Ort mit einem Fuß im Okzident und ein anderer Fuß im Orient. Anmutig und prächtig. Harmonisch und zugleich widersprüchlich. Der Duft der Blumen gemischt mit den Geruch aus der Erde roch ich in der Musik. Und die Lebensbejahung begleitet von Ehrfurcht vor der Natur (Gott) klopfte mein Herz.

Nachdem ich wieder allein war, wirkte die Musik noch sehr lang nach. Der Nachklang holte mich wieder nach, als ich den 古坑 Gukeng Oolong vom Frühling 2019 in Shui Tang degustierte. In meiner Tasse war er noch zurückhaltend, nachdem er eine lange Reise nach Zürich eintraf. Trotzdem duftet er nach leisen Orchidee, Maiglöckchen und Zitrusblüte. Reife Banana und Longgan drängen sich rasch im Vordergrund. Das, was man nicht übersehen kann, ist der starke Ausdruck con mineralischen Spuren in den innersten Schichten des Tees. Ist es ein Felsentee? Ein Felsentee aus Taiwan? Die anmutigen floralen Töne schmücken den fruchtigen Körper, dessen Kern von essentiellen Stein-noten besteht. Geschmeidig und aufrichtig. Entzückend und charakterstark. Ich hörte wieder den Tanz von La Primavera. Ich ahnte den Donnern und den Wind. Und den unausweichlichen Rückkehr zur Rhythmus der Natur. Zurück zur Erde.

Shui Tang wird im Herbst zehn Jahre alt. Atong, mein Lehrer suchte diesen Tee für Shui Tang als der Jubiläumstee. Und dieser Tee wächst in einem steilen Hang, wo viele zersetzten Steinen und Felsen zu finden ist. Warum dieser Tee? Was kann dieser Tee diesen Prozess von Erwachen und Beginn, Verwandeln und Reifen, Rückbesinnung und Neubeginn präsentieren?