Archiv für den Monat Februar 2011

Die Freude bleibt zurück

liebe meng-lin
vielen dank für die tolle buchvernissage.
berührend dein vorlesen; ich verstehe deine texte jetzt viel besser. der gesang mit einer wundervollen stimme war die perfekte ergänzung dazu.
anschliessend natürlich feiner tee und die interessanten gespräche: was will man mehr?
ich wünsche dir weiterhin viel erfolg
p.

Es war ein sehr reicher warmer Abend.
Reinhard sagte mir heute im Telefon: „Du warst so echt.“
Echt sein kann man nicht wollen. Echt sein, ist eine Lebenseinstellung.

Natürlich war ich unglaublich nervös. Teresa wollte mich beruhigen und kam bereits um 16.30. Sie übte ein wenig und fing an mit mir zusammen nervös zu werden. Für mich ist es klar. Ich brauche Rampenfieger. Ich brauche die selbstquälerische Nervösität.
Es war auch ein Abend voller Abenteuer. Martin Frischknecht, der die Moderation machte, verwechselte die Uhrzeit. Die Gäste warteten und der Geburtsvater und die „schiebende“ Hand hinter dem Buch kam nicht. Wir wurden noch nervöser!
Irgendwann war alles vorbei. Ich fing an zu lesen. Diesmal traute ich meinem schweizer Publikum einem Experiment. Ich lass teilweise die Texte in Chinesisch. Wie war es dann? Die Schweizer blieben am Platz und staunten. Es ist gelungen! Meine taiwanesische Freunde freuten sich sehr und liess sich mitreissen. Ich weinte bei dem zweiten Text „Liebe und Pflicht – Zheng Dongding Wulong Cha“. Wie konnte ich mich denn zurückhalten, wenn ich ehrlich sein darf. Dieser Text ist meine Liebeserklärung für meinen Vater, für meinen Lehrer, für den Zheng Dongding Wulong Cha und für die Insel an Pazifik! Alex gab mir ein schönes Handtuch – stilecht aus Japan. Und ich dufte meine Tränen richtig tropfen lassen. Man sagte mir später, dass meine Landesleute mit geweint haben…
Teresa sang drei rührenden Lieder. Ich möchte sehr gerne hier im Blog posten. Ich warte noch auf die Daten, die bei mir ankommen sollten. Natürlich die Fotos! Ich hoffe, ich bekomme welche!
Sie sagte öffentlich, dass Menglin so gerne weinte. Jeder, der mich besser kennt, weiss, dass ich aus Wasser gemacht wurde. Ich weine so gerne. Sie sang ein Lied für mich, unserer Freundschaft zu widmen! Ich war sehr berührt und wußte nicht, was zu sagen. Nur weiter weinen.
Zum Schluss sagte Martin, dass er eigentlich Problem damit hat, mich anstatt als eine Teemeisterin als Titel zu benennen, sondern als eine Teeliebhaberin. Es war mir tatsächlich ein wenig peinlich. Für mich bedeutet ein Titel wirklich nicht viel. Wenn Ihr wollt, bin ich das, was Ihr auf mich projiziert. Aber ich weiss, was ich bin. Ich bin MENGLIN und nicht mehr. Ich möchte nicht in irgendeiner Schublade gesteckt werden. Ich möchte so sein, wie ich es will. Jetzt beschäftige ich mich mit Tee. Vielleicht in drei oder fünf Jahre auch. Aber wer sollte wissen, wo und wie ich später lande? Das Leben ist voller Überraschungen. Ich liebe Herausforderung!
Ja, ich liebe und will Herausforderungen.
Wenn wir die Jahreszeiten beobachten, wissen wir, dass der Frühling immer dem Winter folgt. Es ist alles so perfekt! Das Kosmos, was wir als Chinesisch als Tao bezeichnen, geschieht ohne unsere Wille. Deswegen sprichen Taoisten von Wuwei (Nichts tun – kein Nutz) und Buddhisten von Wu-Xin (Nicht Geist – kein Ziel, keine Melancholie). Es ist alles so perfekt. Aber wir als menschliches Wesen eben an das Vergängliche haftet, werden wir melancholisch. Das Melancholische macht eben das Menschliche aus. Ich hänge auch immer an das Vergängliche. Das Nutzlose, was kein Nutz und kein Ziel hat, ist für mich der Geist des Tees. Und das ist gerade das, was Tee ausmacht!

Eines möchte ich mich bei all den Teefreunden entschuldigen, die nicht dazu eingeladen waren und abgesagt werden müssen. Es war einfach sehr voll!!! Shui Tang ist „zu“ klein… Wir waren mehr als 50 Peronen. Fast 20 Leute mussten stehen und konnten nicht einmal zuschauen und nur hören! Es tut mir sehr leid!
Ich hoffe, dass ich Euch woanders noch so begegnen können – zwischen Texten und Klängen!

頻相顧
餘歡未盡
欲去且留連
秦觀
Ich sollte gehen, blicke aber zurück.
Die Freude sollte schon längst vergangen sein, bleibt aber zurück.
Ich sollte gehen.
Meine Schritte schreiten nicht.
Qin Guan (1049-1100), Song Dynastie China

Dazwischen

頻相顧
餘歡未盡
欲去且留連
秦觀
Ich sollte gehen, blicke aber zurück.
Die Freude sollte schon längst vergangen sein, bleibt aber zurück.
Ich sollte gehen.
Meine Schritte schreiten nicht.
Qin Guan (1049-1100), Song Dynastie China

Er hatte Liebeskummer. Bedrückt und depressiv.
Ich lernte ihn an eine Veranstaltung kennen. Eine Veranstaltung, die mich sehr viel bewegte und nachdenklich machte. Eine Massenveranstaltung, wo ich als Entertainerin auftrat und viel Geld verdiente. Aber glücklich war es nicht.
Wir haben gemeinsame Bekanntschaft. So kam er mich in Shuitang besuchen.

Gerne sass ich am seinen Rostoffen. Es war zu kalt, aber ich war zufrieden. Selten fühlte ich mich so zufrieden mit dem, so wie es ist. Ich war wieder zu Hause, wieder bei Atong und wieder unter den Düfte des Tees. „Was röstest Du?“ „Mein privates Glück.“ antwortete er mit Schalk. Privates Glück? Ich weiß, dass er die Einsamkeit und Nichts-Tun selten aushält. Ein privates Glück für die Stile des chinesischen Neujahr. „Bist Du einsam.“ scherzte ich zu meinem Lehrer. „Nein. Ich habe meinen Tee.“ Ich sass immer neben dem Ofen und roch an den enstehenden Tee. „Was ist dieses Mal?“ „Ein Rougui. Ein Gift.“

Diesen Gift bekam ich zuerst nur 600g. Ich bekam ihn, weil ich frech genug war. Warum will er denn nicht mehr rösten und mehr Geld verdienen? „Gute Dinge sind rar, mein Mädchen.“
Für die kummervolle Seele bereitete ich einen Gift.
Er sagte, er wolle ein BMW kaufen. Seine Freundin sei von einem BMW-Fahrer entführt. Ich lachte und möchte ihn zwei Fragen stellen. „Wenn Du diese zwei Fragen beantworten kannst, finde ich auch gut, einen BMW zu besitzen: 1. welche Frauen möchtest Du mit BMW anziehen? 2. Sind diese Frauen, die so angezogen werden, Deine Herzensdamen?“ Sein Kopf hing.
Rougui hat laut Atong leicht prickelnde Note wie Zimtrinde, der uns in einem Garten von Wärme und Sinnlichkeit versetzt. Dieser Gift – Rougui duftet nach Früchteparadies. Wir rochen Banana, Ananas und Guaven. Auch Lichee war in greifbarer Nähe. Oder Longgan war gerade auf meine Zunge. Der Abgang des Giftes wirkt wie die Spuren der Weihrauch und Mochus. Die Vielschichtigkeit dieses Tees verführte meine Gäste in einer unbekannten Welt. Ihre Gesichter strahlen Freude! Eine Dankbarkeit steigt in unser Bewußtsein.

„Weiß Du, in meiner Position geht es nur um das Geld. Um immer weiter zu kommen geht nur über die Leichen.“ „Du hast sehr wenig Vertrauen in Menschen.“ „Nein, ich bin selbst nicht ehrlich.“ er gestand diese Eigenschaft, die ihn zur Karrier-Leiter führt. „Ich bin so unglücklich. Aber wenn man weiter kommen will, kommt man nicht ohne Manipulation und Machtspiele aus.“ „Warum willst Du weiter kommen?“ Er fing an zu weinen.
Er sagte, dass er seine Energie 80% an die Arbeit investierte und 20% seiner Energie für seine Freundin. Nun merkte er, dass er so unglücklich ist mit der Arbeit und wußte, dass er bald für seine Firma als „verbraucht“ gilt. Und seine Freundin ist weg. Was hat er falsch gemacht? „Wo warst Du denn? Was hast Du für Dich selbst gemacht?“ fragte ich ihn mitgefühlsvoll. „Ich?“ er fragte sich selbst, „ich weiß es nicht. Ich kenne mich eigentlich gar nicht.“ er heulte. „Wie finde ich mich wieder?“
Ich antwortete sehr vorsichtig. „Für manche ist es der Tee.“
Tee?
Ja, Du muss einfach nur jeden Tag 10 Minuten nehmen – zuerst jeden Tag nur 10 Minuten. Das Wasser kochen, die Teeblätter nehmen und langsam aufgiessen. Abwarten und geniessen. Wir investieren jeden Tag zuerst 10 Minuten in uns selbst. So langsam gehen wir auf den Weg nach Hause durch Tee. Bryan nickte seinen Kopf neben ihm. Er kaufte paar die Spielzeuge von Shuitang und spielte an einem Abend eine Stunde lang mit Tee und dann lag glücklich eingeschlafen im Bett.
Meine Hand streichelte sein zitterndes Schulter. Worte waren nicht nötig. Das Verlustgefühl bringt uns einfach Schmerzen und nicht mehr. Schmerzen halten uns immer vor weiteren Schritte zurück. Ach, wozu! „Was ist Liebe?“ Jemanden ein Blumenstrauss zu schenken, wenn er geht.“
Sie wollte alle den Gift kaufen. Ich wollte zuerst nicht. Warum sollte ich? „Noch nie so einen Tee erlebt.“ er seufzte, „so kann ich nicht nach Bern zurückfahren!“
Der Tee wurde schon längst getrunken, aber die Wirkung bleibt.

Im Fluss des Lebens

Aus irgendeinem Grund dachte ich, dass er heute zum Spital gehen wollte, um sich untersuchen zu lassen. Kurz vor dem Ladenschluss am Samstag ging ich zu Udo und wollte mich von ihm verabschieden. Er sagte, dass er eigentlich erst eine Woche später geht. Da lachte ich, „das macht nichts.“ Ich umwarmte ihn und küsste ihn. Dann sagte er mir in meiner Zuneigung, dass er eigentlich lustlos durchs Leben geht und ein Ende setzen würde. Ich glaubte es nicht. Denn ich solche Momente in mir auch gut kenne. Ach, wer kennt es denn nicht? Mir geht es manchmal auch so dreckig.

Ich verabschiedete mich von ihm, denn es noch Gäste gab in Shui Tang. Er ging, lief durch unseren Garten. Das Licht löschte.

Sonntag erfuhr ich plötzlich, dass er paar Stunde später die Welt mit Absicht verlassen hat.
Ich habe einen lieben Nachbar verloren. Die Spieglgasse hat einen langjährigen Freund verloren.
Ihn kenne ich nicht lang. Mit Tee konnte er wirklich nicht viel anfangen. Wenn er sich nicht so wohl fühlte, kam er mich besuchen. Ich kochte ihn Kaffee. Einmal tranken wir zusammen Champagne. Er rat mir öfter, wie ich die Aktivitäten an der Gasse mitmache. Er tröstete mich, wenn ich mühsame Kunde hatte. Zum diesen Weihnachten brachte er mir eine riesen Kiste von Kuezli und ich trug die schwere Kiste nach Taiwan. Diese Kiste bereicherte die Schüler von Atong ihre kulinarische Fremderfahrung…

Alle sind traurig. Die Menschen an der Spiegelgasse und vom Neumarkt halten sich zusammen. Die Innenstadt Zürichs lebt noch eine süsse Dorfstruktur. Ich als Neuankömmlinge ist noch auf der Beobahtungsliste. Aber Udo ist ein alter Freund der Gasse!

Heute bin ich froh, dass ich mich von Ihm bereits Abschied nahm. Ich habe keine Reue. Es ist tatsächlich gut so, dass man die Dinge immer mit diesem Bewußtsein tut, als ob man in nächster Stunde sterben würde. Michel sagte mir einmal, dass er seine Wohnung immer so verlassen, als ob er niemals zurückkehren würde… Ach, was hätte ich noch anderen Menschen zu sagen, die mir etwas bedeuten, bevor es zu spät wird?
Mir ging sehr schlecht. Ich schnitt eine Zitrone. Die Säure der heißen Zitrone glättete meine Stimme. Das Leben ist nicht bitter, sondern sauer.

Nachmittags kam Michi mit einer Dame zu Shuitang. Sie kannte Udo auch. Sie war sehr mitgenommen. Sie warf sich vor, dass sie ihn hätte öfters ansprechen sollte, wie sie zu ihm stand. Aber die schweizer Erziehung erlaubt manchmal nicht die spontane Gespräche und kurze Besuche. Sie dachte, sie würde ihn eher stören… Mit großer Trauer verliess sie Shuitang. Ich weinte innerlich mit. Wie hätte unsere Erziehung unsere Liebeserklärung an unsere Mitmenschen behindert?
Ich beschloss noch bewußter im Fluss des Lebens zu leben. Ich möchte meine innere Stimme von der Kondition und Konvention differenzieren lernen. Eigentlich bin ich sehr glücklich, dass Udo meinen Anfang an der Spiegelgasse begleitet hat und mir eine Lektion erteilt hat, als ob er zu mir flüstern würde: „Menglin, lebe! Lebe im Fluss Deines Lebens!“