Der wichtigste Teil an einem Rad ist Achse. Die Ruhe der Achse erlaubt es dem Rad, sich zu drehen.
Kodo Sawaki: Jeden Tag ist ein guter Tag. 2008.
Seit irgendwann gibt es einen so genannten Zen Stil in der Innenarchitektur und Gartenkunst. Klare Linie, karg und leer. So stellt man sich immer von Zen vor. Ist die Leerheit tatsächlich leer? Vor paar Jahren gab es eine Diskussion zwischen mir und einem Zen-Kollege als wir zusammen ein Fest kochten. Ich wollte ein „richtiges“ Fest kreieren, während er sich ein Zen-Fest vorstellte. Ich warf ihm asketisch vor, während er mich als Unwissender bezeichnete. Hat Zen tatsächlich mit Lebensfreude nichts mehr viel zu tun?
H.-P. kenne ich seit mehr als zehn Jahren, viel haben wir nicht miteinander gesprochen. Er und seine Frau kauften immer Tee von mir und schwärmten oft von dem Räucherwerk. Das war unsere wenige Gesprächsthemen. Er spricht nicht viel, scheint sogar ein bisschen langweilig zu sein. Er bemüht sich nie, kommunikativ zu bleiben und oft fehlt mir der Zugang zu ihm. Sein Hobby mit dem kubanischen Musik und Salsa schienen in vielen ernsten Augen im Zenkreis als fragwürdig. Diese Kluft zwischen Genuss und einem richtigen Praxis nimmt immer mehr Gestalt, als man in Europa sich immer mehr an das japanische Vorbild von strenger Form und Tempelregel orientiert. Die Freiheit und Freude, was man in alten Zen-Dichtungen und -Prosa erfährt, scheinen immer mehr im Hintergrund zurückgedrängt. In dieser umstrittenen Zeit bin ich zum ersten Mal ihm wirklich begegnet, als wir mit anderen 60 Menschen in die schweizer Bergen zurückzogen. Und das alles fand durch Cigar statt!
Ich erzählte ihm von meiner Tätigkeit bei Teeeinkauf und wie Tee sich durch Geschmäcke und Düfte manifestiert und uns Informationen verrät. Seine Augen leuchteten und er sagte mir, dass er eine Überraschung für mich hatte. Nach seiner Performanz an dem Festabend flüsterte er mir ins Ohr, dass ich mit ihm auf die Terrasse gehen sollte. Wir saßen im Sofa. Viele Freunde rauchten ihre Zigaretten schon ganz heftig. Geraucht habe ich an der Uni in Taipei. In meinem Vater Schatzkammer waren ständig wunderbare Zigaretten von Davidoff und Dunhill an Lager. Es war ihm noch nie aufgefallen, dass sein Schatz von der heimlichen Maus abgetragen wurde. Die Zeit als Raucherin war kurz. An diesem Abend zeigte mir H.-P. ein langes kubanisches Cigar und machte mir vor, wie man ein Cigar abschneidet und anzündet. „Du muss ihn so anzünden, wie Du ein edles Räucherstäbchen anzündest. So an ihn heran tasten, dass er nur den Geschmack gibt, was Du willst.“ Vorsichtig zündete ich Cigar an und er warnte mir von eiligem Atmenszug. „Nun ein atmen und dann beim tief Ausatmen Cigar rauchen. Somit wirst Du nicht schlecht und Du spürst, wie Dein Körper sich langsam entspannt. Ein wunderbarer Geschmack bleibt in Deinem Mund. Cigar kannst Du einfach ausgehen lassen, wenn Du langsam rauchst. Alles mit der Ruhe.“ Ich folgte seiner wunderbaren Anweisung und fühlte, wie Cigar allmählich sich an meinem Takt gewöhnte und brannte. In jedem langsamen tiefen Ausatmen kam ich ihm immer näher und ein leicht pflaumiger, süßer und bitterer Geschmack füllte meinen Mund. Mein Geist wurde ruhiger, vereint mit Cigar in jedem Atmungszug und mein Körper wurde immer weicher und sank immer tiefer ins Sofa. Ach, was für einen Genuss und schöne Momente des Lebens! Mein Lebensachse wurde sichtbar in jenen Momenten und beruhigte sich im Rauch des Cigars. „Wie sollte ich mich bei Dir bedanken! Was für ein göttliches Geschenk!“ Er erwiderte mir mit einem herzlichen Lachen und führte mich in die Welt des Cigars. Mir wurde eingeführt, was für Formate von Zigarren gibt, was besser wäre für mich und welche Geschmacksrichtungen es überhaupt geben könnte. Ich war total fasziniert und wurde immer ruhiger. „Jetzt höre auf, Du hast nun genug. Dir wird bald schlecht. “ Warnte er mir. „Nein, mir geht es wunderbar!“ Die Augen nebenan waren voller Neid. Uns wurden stets von anderen Freunden fotografiert, wie wir zusammen rauchten. Es sei so schön, uns zuzuschauen. Ich bin selbst überrascht, wie faszinierend die Welt von Cigar sein könnte! Nicht nur die interessante Geschmäcke, die die Sinne erwecken und Begierde hervorrufen, sondern das Frieden, das meine Lebensachse umhüllte und mir Ruhe vermittelte…
Ich spürte an jenen Abend eine wunderbare Energie, die in meinem Lebensachse hinein floss durch jeden Atmungszug eines Cigars. Das ähnliche erlebe ich im Sitzen beim Zazen. Es ist tatsächlich nichts anders als auf das Ausatmen zu konzentrieren und mit Cigar eins zu werden. „Sieht Du den Unterschied zum Zazen?“ „Nein.“ Der gegenwärtige Augenblick war äußerst direkt zu erfahren. Keine Zukunft und keine Vergangenheit, nur im Hier und Jetzt in jedem Atmungszug.
Das Lebensrad dreht weiter. Die Tage nach diesem Erlebnis waren hektisch. „Pst“ rief H.-P. mich im Flur. Ich ging zu ihm. „Für Dich!“ Ein Davidoff Schachtel überreichte er mir. Wortlos lachten wir zusammen. Ja, bis zum nächsten Mal!