Archiv für den Monat März 2013

Tee in China heute

http://v.youku.com/v_show/id_XNDg2NTE1MjQw.html

Ich erinnere mich, als Tim vor paar Monaten zu mir kam und mir um eine Lektion von Gongfu Cha bat. Er sagte, dass er fast allen Video von Gongfu Cha studiert hat – das ist ja das moderne Lernen heute. Nach der Lektion sagte er mir, „Es geht ja hier um etwas anders! In You-Tube ist es ja Sport-Gongfu Cha!“
Heute suchte ich Information nach Jingmai und fand diese You Ku (cool) Seite – das chinesische You Tube. Dort fand ich ein Video über ein Wettbewerb der Teezubereitungskunst in Wuyishan. Es sei eine internationale Angelegenheit und es handele sich um die Kunst des Tees. Aber wenn ich das Video anschaue, habe eher das Gefühl, dass es sich wohl um eine Schönheitswettbewerb handelt…
Wenn das ist, das was man in China offiziell als Kunst des Tees feiert, dann bin ich sehr glücklich an einer Seitengasse in Zürich zu sein. Wie schön, dass ich so weit weg bin von diesem Rausch von Glanz und Gloria des Tees!

Der feine Wilde

„…die Wilden dieser Inseln sind die zufriedensten, die glücklichsten (…) Sie haben kein anderes Gewand als das, mit dem die Natur sie bedeckt hat. Sie kennen eine gesetzte Ordnung: sie leben ganz in Freiheit, trinken und essen, was es ihnen gefällt. Sie machen sich keinerlei Sorgen, nicht einmal von der einen Mahlzeit zur nächsten, und schon gar nicht um den kommenden Tag…“ J.B. Du Tertre. Paris 1667, S. 356.

Unsere Reisegruppe nach Yunnan bezeichnet sich als die Wilden. Unsere Fladen, die wir dann selbst erzeugen, heisst „Ye Ren Cha Bing“ (Wilde Menschen Fladen) Eine interessante Formulierung, wenn man vergleich mit dem Text von dem fränzösischen Reisebericht im 17. Jahrhundert. Wer ist für wem wild?
Was bedeutet denn heute „Wild sein“ in unserer entzauberten Zeit? In einer Zeit wo alles bereits bereist und entdeckt wurde, wo alles aufgeklärt und belegt wird? Wo liegt noch Zauber und wo sind die Wilden?
Ich bin wild – ich hoffe, ich bin wild genug. Wild genug, noch zu meiner Wildheit zu stehen.
Vor zwei Wochen sprach mein Bonsai-Doktor zu mir, als ob er zu seinem Amigo geredet hätte. Ich sagte ihm sofort, dass ich nicht sein Kumpel sei. Aus seiner guten Erziehung entschuldigte er sich sofort. Aber ich habe ein Gespräch mit ihm gewünscht.
In dem Gespräch sagte er mir, dass er wild sei und seine Meinung direkt ausspricht. Er sagt seine Meinung.
Er sei wild und kann seine Meinung einfach sagen.
Ich lachte richtig und sah einen Spiegel vor meinen Augen. Also – mein lieber Junge… Meinung zu sagen ist einfach. Schwierig wird es, wie man es sagt. Noch schwieriger wird es, zu eigenen Meinungen zu stehen, nachdem man es gesagt hat.
„Es ist nicht so interessant, wild zu sein.“ sagte ich. „Interessanter wäre zu respektieren, dass Du und die anderen Meinungen haben. Wenn die anderen andere Meinung haben, kannst Du immer noch Deine Meinung respektieren und zu Dir zu stehen? Das ist interessant. Nur einfach etwas zu sagen ist nicht so spannend.“
Die Augen von Tim fingen an zu leuchten. „Wild sein und keine Grenze zu kennen ist uninteressant. Die Grenze zu erkennen und zu respektieren macht Dich zu einem feinen Menschen. Wenn du noch Mut hast, wie die Wilden, dann bist Du ganz interessant für Deine Mitmenschen. Denn Du bist ein feiner Wilde! Mutig und fein.“
Tim erzählte weiter, dass er bis vor kürzen in privater Schule war und hatte das Gefühl, dass es demokratisch sei zwischen ihm und den Lehrern. Die Lehrer sind bezahlt von den Eltern der Schülern. Er konnte immer seine Meinung äussern. Nun ist er in der öffentlichen Schule. Die Lehrer sind über ihn gestellt. Er muss lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen.
„Also, wenn Du Tee bei mir lernst, bin ich für Dich eine autoritäre Person, oder?“ ich schmunzelte.
Er nickte.
„Also, dann ich bin über Dich. Ist es klar?“
Er wusste nicht, wie zu antworten.
„Wenn Du mich nicht respektiert und auch wenn Du mich bezahlst, schmeisse ich Dich raus. Glaubst Du es?“
„Ja, ich traue Dir zu.“
„Weiss Du, das stimmt, dass man meine Arbeit bezahlen kann. Aber, was ich geben kann – ich kann viel mehr geben, alsdas was ich bezahlt werde – und DAS tue ich aus meinem Herzen. Das ist nicht zu bezahlen! Das geschieht nur vom Herzen zum Herzen!“ ich lächelte zu ihm, „Ist es Dir auch klar?“
Mein Bonsai Doktor schien nachdenklich zu sein.

Ich liebe unsere Gespräche – Teespräche mit einem inzwischen 16jährigen Junge, der alles mit anderen Augen sieht und die Welt mit voller Poesie betrachtet. Höflichkeit ist anders als Demut. Höflichkeit ist anders als Dankbarkeit. Höflichkeit ist anders als Respekt. In der Dunkelkeit habe ich lange alleine versucht, zu verstehen, was Respekt bedeutet und was Mut anstellen kann. Aus einem sehr bürgerlichen Verhätlnis habe ich mit vielen Mühe die so gennante Freiheit zu gelangen und zu begreifen, Grenze und Freiheit immer nebeneinander stehen. Menschen sind in der Schweiz gerne höflich, aber herzlich sind die meisten nicht. Mein Bonsai Doktor hat eine wunderbare Chance durch seinen Teeweg sein Herz zuzuhören und seine Freiheit in wahrsten Sinn des Wortes zu leben. Mut und Respekt wünsche ich als Begleiter für unser Leben.

Der Wilde pendelt sich zwischen dem „edelen“ und „bedrohlichen“ – nicht nur in den europäischen Reisebeschreibung letzer Jahrhunderten, sondern auch noch heute.

Eine Wette

Alexander brachte einen Boss (einen prächtigen Kravattenträger). Er behauptet, dass er alles trinkt, was seine Assistentin ihm zubereitet – ein scheinbar zugänglicher Boss.
Aber er behauptet, dass es keinen Unterschied bei dem Geschmack gibt zwischen den Oolong von Teebeutel und von Gongfu Cha.
Also, ich bin auf die Wetter eingestiegen. Auf eine Flasche Champagner! Ich habe eine Flasche ausgesucht. Aber der Boss behauptet, dass er es gewinnen könnte. Es wurde gewettet, ein Lishan Holzkohle 2012 sollte in zwei Arte zubereitet werden: einmal in Gongfu Cha und einmal mit PapierFilter. Es wird ein Blindtest sein und ich werde getestet! Mit herzlichen Lachen akzeptierte ich die Bedingungen.
Ich bin sehr gepannt.
Denn ich erlebte heute eine Ueberraschung.
Ich dachte, ich kenne fast allen meinen Tees. Tim stellte es auf Probe.
Er kam ohne angekündigt. Während ich sein Essen aufwärmte, sollte er selbst einen Tee aussuchen. Er suchte einen aus und bereitet ihn in dem Tonkanne zu, die Atong mir schenkte. Ich dachte es sei ein Dongding Guifei, weil der Tee schöne mineralische Note auffächerte… Nein… er war ein Muzha Tie Guanyin!
Ich war sprachlos in dem Moment. Muzha Tie Guanyin – kenne ich mehr als genug! Aber immer in Porzellan! Nun offenbart er mir in einer Tonkanne andere Facetten, die mir zuvor unbekannt war!
Anfängergeit ist der Teegeist! Ich habe Respekt vor Tee und vor dem, was Tee mir offenbart.
Und diese Wette – gewinnt nun auch Respekt von mir.

Ein Bericht über Shui Tang und Shui Mei Tang

Hotel et Gastronomie Zeitung Shui Mei Tang Mar 13.pdf

Shui Tang existiert seit 2009 Sommer. Seitdem gibt es einen Zufluchtsort für Teeliebhaber an der Spiegelgasse. Jeder, der den Weg findet, entdeckt einen Ort des schönen Wassers. Wer bereit ist, findet immer weitere Winkel dieses Ortes, immer tiefere Wellen des Wassers… mitten in der Zürcher Altstadt!
Seit 2012 Herbst wurde Shui Mei Tang gegründet, für Menschen, die auf Reisen sind, sich für einen Raum der Begegnung freuen. Alexander und ich haben die Idee eine Firma gemeinsam zu gründen, um Tee in solchen Räume zu bringen, wo Menschen aus verschiedenen Kulturen und Grenzen kommen. Denn Tee spricht die Sprache des Herzens, werden Herzen aller Welt hier geöffnet!
Ich danke Frau Bissig für Ihren fliessenden informativen Artikel über Tee und unsere Vision. Es war ein Freude, Menschen wie sie in Tee zu begegnen!

Like Oriental Beauty from Formosa

Like Oriental Beauty from Formosa

Es ist oft so, dass Menschen im unseren Leben plötzlich kommen und auf einmal gehen.
Wir wissen nicht, warum sie kommen und weshalb sie uns verlassen.
Weil wir gerne den Grund wissen, sind wir misstraurisch. Wir wollen einen Grund haben, warum diese oder jene passieren. Ich hätte aber das Gefühl, dass das Wesentliche darin nicht an dem Grund des anderen liegt, sondern an dem Zeitpunkt in unserem Leben. Jemand ist an einem bestimmten Zeitpunkt aufgetaucht, der unseren Zustand etwas reflektiert, und ich freue mich auf diese Begegnung.
Und vielleicht ist diese Vorstellung zu asiatisch.
Alexander bracht mir einen Oriental Beauty am Freitag. Als ich den Herkunftsort Fujian sah, war ich sofort misstraurisch! Ah! Oriental Beauty aus China! Natürlich ist der Oriental Beauty, ein berühmter Formosa Oolong nicht ein geschützer Name. Und wenn dieser Oriental Beauty aus Fujian ein wunderschöner Oriental Beauty ist – warum nicht?
Unbedingt wollte ich diesen Tee aufgiessen und unbedingt verglich ich diesen mit dem gleichen preis-kategorischen von Shui Tang.
Das kann sein, dass manche Leute diese sofort erkenntbare grobe Süsse gleich mit Oriental Beauty identifizieren. In meinem Mund schmeckt dieser Tee schlicht als verwässert, schlecht gelagert und ein vertuschter Oolong, der wie ein Oriental Beauty sein soll, aber nie sein kann! Für Menschen, die Oriental Beauty kennen, ist es fast eine Beleidigung so etwas als Oriental Beauty zu bezeichnen! Es ist die Intention, something like Oriental Beauty from Formosa vorzutauschen!
Im Kino sagte Josef, dass er nur mir zuliebe diesen Film mit angeschaut hat. Mein guter Freund Josef wusste vorher schon, dass dieser Film „Like Someone in Love“ von Abbas Kiarostami einfach schräg ist. Wie kommt ein Iraner auf die Idee ein Film in Tokyo zu drehen und so süss japanisch klingen zu lassen? Diese süsse weibliche Akzente und Tonhöhe, die ich als typisch japanisch verstehe, wurde sehr gut zum Ausdruck gebracht – aber der Rest? Doch er hat recht – die ganze Welt ist so wie die Akteure in diesem schrägen Film, sie wissen nicht, was sie tun und verwechseln Liebe mit Gewohnheiten und Besitztum! Der junge Mechaniker will die Akiko heiraten, weil er glaubt, dass sie ihm dann immer eine Antwort schuldig ist, wo sie ist. Die Akiko glaubt diesen Mann zu lieben, kann aber ihm nie die wirklichkeit mit ihm teilen, wo sie ist. Er wurde am Ende gewaltätig weil er glaubt, weil er sich in sie verliebt ist.
Und der alte Professor – niemand weiss warum er sich so um diese junge Frau kümmert und woher er kommt. Niemand weiss auch, wie der Film beendet wird. Der Film endet einfach.
Muss man unbedingt etwas von anderen wollen, um anderen zu begleiten und Kontakte zu halten? Muss menschliche Handlungen immer begründet in einem Wollen und muss alles enden mit einem Ziel?
Wir wissen nicht, warum diese Story angefangen hat und weshalb es nun endet – nur visuell auf dem Leinwand beendet. Wir wissen aber, dass jeder von uns nie wirklich verstehen, was mit uns geschieht und ob wir tatsächlch lieben.
Unser Leben enden oft einfach so, ohne zu wissen, warum. Buddhismus lehrt uns oft, was hinter dem Zeichen und Geschehenisse zu verstehen ist – aber wollen wir es tatsächlich wissen? Es ist bequemer – für mich – einfach so tun als ob —
„Like Someone in Love“ findet überall statt und auch ein Iraner kann einen Film in Tokyo über Japaner drehen! Denn was Kiarostami uns aufzeigen will, ist nur zu menschlich. Und Gewalt hat nichts mit Bösheit und Armut zu tun. Gewalt liegt ganz tief in jedem Menschen…
Auch ein Oriental Beauty kann aus Fujian und woanders kommen. Es muss einfach so aussehen wie…
Die Kunst liegt dann an das Wie!
Ich hoffe ich begegnen nächtest Mal einen richtigen guten Oriental Beauty – Like Oriental Beauty from Formosa! Entzückende florale und nektarsüsse Duft und aprikose-pfirsich-Aromen im Mund – das kann nur der Oriental Beauty sein, nachdem das Teebusch von Zikaden befallen und lange sorgfältig fermentiert wurde!

Palimpsest II

Jeder Tee ist ein Palimpsest. In jedem Blatt verbirgt ein Mensch, ein Ort, eine Tradition und ein Zugeständnis zum Tee.
Durch Tee kam ich in die Schweiz. Als ich nach einem Bleibe suchte, schaute ich verschiedene Wohnungen an. Manchmal war ich so erstaunt über die einwandfreie Badewanne eines alten Hauses! Ich dachte immer, was machen die Frauen in dieser Gesellschaft? Haben sie nichts anders zu tun als zu putzen? Oder vielleicht sind es die Männer, die putzen?
Mit der Zeit verstehe ich, dass diese Phänomenen gewisse Mentalität und Merkmale bestimmten Millieu aussagen.
Meine Kunde in Shui Tang verehren gerne glatte glänzende Porzellan und sind immer beeindruckt von der dünnen Schale vom Meister Hsu. Oft schmälen sie die dicke Steinzeug. Es sei zu grob. Wenn ich solche Kommentare höre, fühle ich mich plötzlich so nah zu meinem Grossvater, der hässliche Orchideen und hässliche Steine gesammelt hat. Er sagte gerne, „Nur gewöhnliche Menschen haben gerne einwandfreie Schönheit…“ Wenn alle die perfekte Edelsteine haben wollen, dann – dachte er wohl – sammelt er eben hässliche Steine. Er sammelte nicht nur solche komische hässliche Sache, die mein älteste Onkel erbt, sondern auch Kalligraphie. Die Kalligraphie in unserer Familie verkörpert keine Kunst und gar keine künstlerische Fähigkeit, sie ist – wage ich es zu sagen, eine Lebenshaltung, wie man zu sich, zu Kosmos und zu allen anderen steht.
Ich mag die Kalligraphie von Su Dongpo, vor allem das Stück Han Shi Tie, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde und im Süden aus seinem Amt herabgesetzt wurde. In einer traurigen depressiven Stimmung versuchte er sein Leben nicht zu verschönern, ohne es zu jammern, gab einfach die Tatsache wieder, wie er sich fühlte. Jedesmal wenn ich es lese, versetzt die Schrift mich in einer anderen Zeit und in einer anderen Lebenslage. Jeder von uns bekommt Möglichkeiten von Leben die Höhe und die Tiefe zu erleben. Alles was geschieht hinterlassen Spuren in uns. Da wir eben nur gewöhnliche Menschen sind, wollen wir in unser Palimpsest nur das Schöne und Fröhnliche aufbewahren, während die Schmerzen und Enttäuschung wie Müll irgendwie weg radiert werden soll. Die Kalligraphie von Su und wie der Lishan Hochland Holzkohle wirken wie Schlüssel zu meiner Palimpsest, es ist die Zeit, es mit dem Finger durch das Blatt zu spüren, was alles überlappert wurde…
Auf dem Exemplar von Han Shi Tie kann man tatsächlich die Spuren dieses geschätzten Stück suchen. Mit jedem Siegel erfahren wir seine Liebhaber, die ihm zeitlang aufbewahrten. Mit jedem Strich kommunizierte der Autor mit uns, wie er sein Leben als schwer und ohnmächtig beschrieb und wie er in der scheinbaren Ausganglosigkeit immer noch zu sich selbst stand. Es ist keine schöne Kalligraphie, indem sie uns mit Schönheit entzückt und die Wörter von Su verschönern nicht das realen Leben. Es ist „die“ Kalligrahpie in der chinesischen Kultur, die uns vermittelt, was Wahrhaftigkeit und Selbst-Sein schön ist. Es ist schön, weil es Palimpsest ist – in jeder Kratzer oder Schmerzen vielschichtiger wird.
Zhuangzi, der taoistische Philosoph erzählte gerne eine Geschichte von Menschen, die gerne etwas aufbewahren wollten. Jemand wollte sein Schiff gut vor Diebstahl aufbewahren. Er versteckte sein Schiff sorgfältig in einem Tal und glaubte es sehr klug gehandelt zu haben. In der Nacht regnete es zu stark und es wurde überall überflutet. Das Schiff wurde in dem Flut mitgerissen und verschwand noch bevor der Man es retten konnte!
Das Schiff ist wie die Zeit, die ihren eigenen Lauf hat. Das Schiff ist wie unsere Vorstellung, die scheinbar wertvolle Dinge so aufbewahren will, was in der Wirklichkeit keine Substanz hat! Meine Finger streichelen über das Teeblatt, als ob ich ein Palimpsest streicheln würde. Nichts ist aufzuhalten. Nichts ist zu verbergen.

Palimpsest I

Palimpsest I

In unserem alten dunklen Haus sah man nicht, ob etwas neuwertig war oder altmodisch. Alles verschwanden in der Schattierung im Dunkel. Aus diesem Millieu aufgewachsen wusste ich nicht, dass man Dinge so pflegen sollte, um immer neu aussehen zu können. Dinge putzen und pflegen waren nie unsere Stärke.
Das war mein Kulturschock, als ich den „germanischen“ Alltag in die Berührung kam. Ich staunte wie „germanische“ Frauen ihre Töpfe putzen und ihr Haus frisch halten. Ich kannte es nicht und kann es nicht. Ich kaufe nie eine Hülle für mein IPhone, schaue nie, dass mein alter Lacktisch keine Spuren bekommt und mache oft extra Kratzer auf dem glatten Oberfläche, als ob ich dieses Stück schon lange kennen würde. „Was soll´st? Die Dinge sind doch fürs Benutzen da, nicht wahr?“ Umgekehrt liebe ich alte Dinge. Alte hässliche gekratzte Dinge, die eine Geschichte erzählen können.
Mein Lehrer und ich verstehen gut im Tee. Ansonst vielleicht nur noch die Politik, sonst nichts. Er mag Pu Er nicht. Ich liebe Pu Er. Er mag Literatur nicht. Ich empfinde eine Leidenschaft für Literatur. Er mag Musik nur selten. Ich habe Musik als meine Lebensquelle. Er fragt sich oft, warum ich bis heute immer noch gerne unterwegs bin und warum kein Sicherheitshafen buchen wollte. Er versteht nicht, dass es in manchem Lebensentwurf nicht um die Sicherheit und haben geht, sondern um den Prozess. Aber wir lieben Tee.
Wenn es draussen ganz kalt ist, röstet Atong gerne seinen privaten Tee, darunter oft Lishan Hochland. Auf 2600 Meter hohen Bergen Lishans wachsen immer noch Qingxin Oolongbusch. Die kalte Luft und Luftdruck macht die Pflanzen dichfleischige Blätter, die ein wesentliches Merkmal ist, wenn man den Tee sonst nicht auf Anhieb erkennen kann. Als ich noch jung im Tee war, war der Lishan Hochland ein unglaublich langweiliger Tee – ich scherzte gerne – wie die Schweizer… Damals tanzte ich gerne und liebe Latino-Musik. Der Alishan Hochland war für mich viel spannender – eben wie die Latino.
Nachdem Spuren des Lebens auch in mir hinterlassen haben und ich bekam Zugang zu der Vielschichtigkeit des Seins, verstand ich auf einmal die Zurückhaltung dieses eleganten Tees, der nicht laut schreit und gerne subtil bleibt. Zart, blumig und in sich ruhigend – in einer Überzeugung, dass die Dinge für sich selbst sprechen; in der Überzeugung, dass man den richtigen trifft.
Aus einem Blatt Tee lese ich Spuren, was der Boden und der Menschen ihn geprägt hat – ist er stark gedünnt, ist der von Zikafen befallen oder wurde er über Holzglut geröstet. Aus dem Aufguss des Blattes spricht der Tee zu uns, was für einen Prozess er durchleben muss, um hier zu sein. Als ich bei dem verschneiten Tag vor meinem Fenster diesen Lishan Holzkohle trank, überwältigte mich das Bild von Palimsest! Ein Blatt Papier, das immer wieder gekratzt, geschrieben und geschabt wurde, wurde immer vielschichtiger in jeder Wiederholung von Kratzen und schreiben!
Der schöne Lishan kommt nicht nur aus sehr edeler Herkunft – eben Hochland, wurde nicht nur getrocknet, er wurde sogar über 130 Grad Holzkohle-Glut geröstet. Diese Röstaroma erschwert den Zugang von meisten Liebhaber zu ihm, ziehen andererseits besondere Liebhaber, die genau die leicht herbe ungefällige Note, die einen Tee besonders macht. Hinter dem herben Mantel verbirgt eine Schönheit, die durch Gluten facettenreicher und eigenartiger wird. Das Palimpsest ist dieser von Holzkohle geröstete Lishan Hochland! Einmal sagte Atong zu mir, dass der Lishan Holzkohle geneu ich sein kann. Auch ich und jeder von uns ist ein Blatt Palimpsest!