Archiv für den Monat August 2006

Eine Tasse türkischer Tee

Wenn ich keinen Appetit habe, wenn es für mich zu kalt und müde ist und wenn ich nicht weiß, was ich tun sollte, gehe ich gerne zu Ali. Egal wie sich die Außenwelt verändert, leuchtet das Licht bei Ali immer und die Wärme der Kebap-Grill strahlt in die Lust.
Wahrscheinlich geht es bei vielen so.
Heute habe ich Geburtstag. Familie und Freund sind weit weg – im Ausland. In Konstanz begleitete mich nur der Regen.
Ich ging zu Ali. „Menglin, Willst Du eine Tasse Tee?“ Seine Frau Zahide gab mir einen warmen Gruß. Sie wusste nicht, dass ich Geburtstag habe. Sie gibt Menschen das warme Herz, so – wie es einfach so ist. Ein Couscous Salat und ein Glas türkischer Tee. Ich beobachte das Kommen und Gehen der Menschen und schluckte langsam den einfachen und wärmenden Tee.
Ein kleines Mädchen kam, weinend und traurig. Sie hatte schlechte Noten und fürchtete vor ihrer Mutter. Ali gab ihr ein kleines Kebap und tröstete sie. Das Kind ging und ein Afrikaner kam. Eine alte scheinbar armselige Seele. Ich sehe ihn manchmal beim Zeitungverkaufen am Straßenrand. Sein bescheidenes Wesen warf ein Schatten in der Stube und saß schweigend am einen unauffälligen Ecke. Zahide brachte ihm einen vollen Teller und ein Glas Tee. Er lächelte ihr zurück. Sie brachte nicht nur einen Teller Futter, wohl auch Würde. Eine fremde polnische Familie kam und schlürfte eine Tasse Tee. Ihre schüchternen Köpfe wurden von dem Duft des Tees umgehüllt. Die Grenzpolizei kam ebenfalls. Laut, eilig und ungeduldig. Sie hätten wohl keinen Tee gewollt.

Eine Tasse nach einer anderen. Dieser einfache türkische Schwarztee wird wohl für immer bei meinem geheimen Garten bleiben. Eine Erinnerung von einer Zeit, in der alles in Wandlung ist und sich alles in Veränderung befindet. Dieser Geschmack des türkischen Tees ist ein Geschmack der Freundschaft und Menschlichkeit. Alle kommen gerne hier her. Denn man ist in diesem bescheidenen einfachen Kepap-Restaurant selbst, wie man ist. Kein Show, kein Selbstzuschaustellen und keine Inszenierung einer bestimmten Szenerie.  Einfach, sich selbst sein.

„Möchtest Du noch eine Tasse Tee?“ „Eine Tasse Tee? Ja, gerne!“

Kuyu Kebap
07531/25952
Kreuzlinger Str. 18
78462 Konstanz

Individualität eines Filmmachers

„In unserer Gesellschaft werden Menschen gepuscht und zu einem bestimmten Typus geformt… Egal ob es sich um einen Regisseur oder einen Künstler handelt, sie befinden sich stets in einem Verwandlungsprozess. Menschen brauchen Raum, damit wir zum Individuum reifen können. Kino ist eine sehr individuelle Sache. Es gibt kein standarisierte Kriterien oder Norm. Akzeptanz des Publikum ist kein Norm, aber die Geschichte, die ein Film schreibt.“ Tian Zhuangzhuang

„Ich habe Delamu 茶马古道·德拉姆 gedreht, nicht weil es sich finaziell lohnt, sondern weil das chinesische Kino diese Gattung noch nicht kennt… Kino muss keine Geschichte erzählen.Ein Gegend und seine Menschen, so wie es ist, konkret ungeschminkt mit der Filmsprache darzustellen ist die stärkste Kraft, andere Menschen direkt anzusprechen!“ Tian Zhuangzhuang 

Der Film Delamu von Tian Zhuangzhuang wurde im Mai 2004 fertiggestellt und rief eine heftige Diskussion in der Öffentlichkeit hervor. Das ist der erste digital chinesische Dokumentarfilm und wurde von NHK (Japan) finanziert. Das ist der erste Film von einer Serie über den „Tee und Pferde Weg“. Viele Botschafte und sein persönliches Experiment wurde von der Presse in die Frage gestellt. Der Film kam bei den meisten Publikum nicht gut an. Der Regisseur gab nicht nach und bleibt treu zu seinem Weg…

Tianzhuangzhuang Tian Zhuangzhuagn in einem Interview

Delamu -茶馬古道 Ein Weg von Tee und Pferde

Tian Zhuangzhuang 

Tian Zhuangzhuang (rechts) und ein Ma Jiaozi (chin. Cow boys ohne Zigeretten)

Chinesischer Regisseur Tian Zhuangzhuang 田壮壮 widmete seinen Dokumentationsfilm Delamu diesem historischen Tee-Weg zwischen China und Südasien, zwischen Han-Volk und anderen Naturvölkern, wo Tee seit Zweitausendjahren von Pferde und „chinesischen Cowboys“ zwischen steilen Hängen und tiefen Schluchten getragen wurde!
Dieser Tee-Weg überquerte das Gebiet, wo wir als „Shangri-La (香格里拉 Xiānggéli lā)“ nennen – ein Ort der Sehnsucht nach paradiesischem Frieden und irdischem Glück.
Menschen, die hier leben, lernen mit der Natur umzugehen. Sie verändern die Natur nicht. Sie passen sich an und leben in einem unglaublich bescheidenen Verhältnis im Gegensatz zu einer so genannten „Wohlstandsgesellschaft“. Die Pferde, die Tee in die fernen Welt transportieren, waren die einzigen Gäste in diesem Paradies, das fast melancholisch, bescheiden und einsam von der Zivilisation abgeschottet allein steht…
Seit Zweitausendjahren existiert diesen Weg, der genau so berühmt wie die von Touristen überfüllte Seidestrasse war. Der Weg führt der in Yünan produzierte gepresste Teefladen in die ferne Welt – nach Tibet, nach Burma, nach Laos und nach Indien. Tee war und ist ein Grundnahrungsmittel von Tibeter. Tibeter hatten wiederum die nötigen Kampfpferde für die Song-Dynastie. Tee und Pferde bildeten Stütze zwei verschiedener Zivilisation und schrieben die Geschichte zwischen Völkern.
Die Pferde wurden getrieben und geritten von so genannten „Cow Boys“ Ma jiaozi – bescheiden anonyme Wesen, das den Tee aus China in die Welt trug, den Buddhismus nach Tibet mitbrachte und Schritt für Schritt die Weltgeschichte schrieb. Sie blieben allerdings gesichtslos, spurlos und unbekannt, während Herr Busch und Frau Rice (eine der 10 besten gekleideten Frauen der „Welt“) im klimatisierten Büro ihre Geschichte mit weissen Handschuhen schreiben.
Tian Zhuangzhuang versucht uns ein Blick in den Alltag dieser bescheidenen Menschen zu vermitteln, wie sie gegen die Grausamkeit der Natur kämpfen, sich der Wechselhaftigkeit der Natur anpassen und ein einfach ungestörtes Leben führen. Der Buddhismus kam und ging. Die Pferde kamen und gingen. Der Gottes Sohn Jesus kam und blieb. Tian sagte, dass dieser Dokumentationsfilm nicht den gesellschaftlichen sozialen Aspekt dient, sondern einen spirituellen Aspekt. Realismus und Ethnographie waren nicht seine Absicht. Exotik war nicht sein Thema. Er sei einfach berühmt von der Einfachheit dortigen Menschen, von ihrem Rücksichtnahme mit der Natur und ihrer Mitmenschen, von den Pferden (Esel)-Karawanen, die wie Wellen zwischen Bergen und Wolken ziehen.

Ma Bang2 Gewalt der Natur, Mekong 澜沧江 schneidet eine Kurve..

„Delamu“ heißt auf Tibetisch „Göttin des Friedens“.  Tian sagte in einem Interview, dass er mit einer Religiosität Filme dreht. Das Respekt, das durch die Einfachheit und Bescheidenheit dortiger Völker in ihm erweckt  war das zentrale Thema seiner Dokumentarfilm. Er bekam einen Zugang zu sich selbst und erreichte einen reinen Zustand des Glücks, als er auf den Tee-Pferde Weg wanderte. „Was ist das Wesen der Menschheit“ stellte der Regisseur seinen Rezipienten.

Ma Bang Pferde auf den Tee-Weg

Dieser Tee-Pferde Weg steht einfach, einsam und unberührt seit Tausendjahren zwischen den Bergen und Flüssen. Nun ist es ein neues „Insider“ Tipp für Abenteuer und Rücksacktouristen aus Westen geworden. „“Shangri-La“ (香格里拉 Xiānggéli lā)“ wird bald wohl von „Sheraton Hotel“ gefüllt…

Erinnerung an meine Großmutter

In einem ersehnten regnerischen Tag saß ich allein vor verregnetem Garten. Nichts zu tun oder nichts tun zu wollen? Eine Tasse Paochung (Qing Cha – klarer Tee) aus Pinglin 2006 begleite mich in diesen ruhigen Stunden.

Leuchtende helle Farbe und leicht bitter aber süßer vollmundiger Geschmack. Ist das nicht ebenfalls wie das Leben, das bitter und süß parallel schmeckt? Ich erinnere mich plötzlich an meine Großmutter, die in ihrem Leben den Zugang zum Tee verpasste, das Süße des Lebens nicht genießen konnte und bitter starb.

 

Meine Großmutter war „verschenkt“ an die Familie meines Großvaters. Das war das gewöhnte Schicksal eines Mädchens einer kinderreichen Familie in Taiwan anfangs des 20. Jahrhunderts. Sie wurde zuerst an einem Wanderkoch (heute nennt man Cateringservice) als Tochter „verschenkt“. Sie lernte ihre Kochkunst von ihrem Stiefvater, der sie später an seiner Schwester gab. Das Mädchen hieß „Xing Xiang“ – klarer Duft und wusste ab dem ersten Tag, dass sie meinem Großvater gehörte.

Ich kannte meine Großmutter immer in einem launischen Gemüt. Ich sah, wie sie meine Mutter „mobbte“. Ich wusste, dass sie Angst hatte vor Hölle. Sie kochte sehr gut, aber altmodisch für meinen modernen Geschmack. Diese alte traditionelle Art des Kochens war mir zu wider. Wenn wir Feste oder Zeremonie hatten, kochte die Großmutter drei Tage lang und der Tisch war voll von essen, obwohl sie nie mit ass. Wenn wir Gäste hatten, brachte sie alles, was sie im Schrank und im Kühlschrank aufbewahrte. Sie war freundlich und herzlich zu anderen, während ich als ihr Enkelkind unter dem gleichen Dach nur ihre Seufz und Härte erlebte.

 

Sie kochte gut und wiederholte nie einen Geschmack in einem 20 gängigen Menü. Aber sie trank Tee nicht. Tee – ein Geschmack der Muße, der Ruhe und der Frieden. Sie war wie viele andere Menschen in Taiwan, die den Geschmack des Tee nie kannten, obwohl sie auf einer Tee-Insel lebten. Sie trank nur den „weißen“ Tee – das abgekochte Wasser – so bescheiden und bewusst, wie sie ihr Schicksal sah. Nach dem Bankrott meines in Depression gefallenen Opas, verkaufte sie rote Bohne Suppe (Azuki-Bohne) und Tee auf der Strasse, um ihre Kinder und Familie zu ernähern. Tee war ein Mittel, um den Bauch ihrer 11-Köpfigen Familie zu wärmen. Als sie später alt und hinfällig wurde, als sie nicht mehr von Teeausschank leben musste, bereite sie jeden Morgen ein riesiges Fass voller Tee – Paochung Tee, der damals ein Volkstee war. Mein Vater brachte das Fass an die Strasse, so dass jeder durstiger Passagier den Tee selbst bedienen und weiter auf seinen Weg gehen konnte… Der Paochung schmeckt erfrischend, klar und duftend – wie ihr Name. Ihr selbst, genügte der „weißen“ Tee.

Seit ich mich richtig erinnern kann, bereite meine Großmutter schon für ihren Tod vor. Sie kaufte seit Jahren verschiedene Unterwäche, Bluse und Schuhe und sagte meiner Mutter, die 30 Jahren mit ihr zusammenlebte, wie sie gerne angezogen wurde. Sie starb von Nierenversagen. Das Wasser kam nicht mehr aus ihrem Körper. Sie sah wirklich friedlich aus, selten so friedlich. Sie wünschte sich zur Beerdigung in einem weißen Seidebluse und gestrickten blauen Schuhen.

Bis jetzt kann ich den letzten Wünsch, den sie zu mir flüsterte, als sie bereits in Koma lag, nicht vergessen. „Lin“, lächelte sie mir sanft an – so selten sanftmütig, „ komm früher nach Hause“. (Ich war politisch aktiv und „spazierte“ gerne für politische Zwecke auf der Strasse. In dieser Zeit empfing mein Vater mich zu Hause immer mit dem Satz „ Welcom to Chou Hotel“.)

 

Nun bin ich wirklich weit weg von zu Hause. Ihr Wünsch bleibt immer schwieriger zu erfüllen. Nur der Paochung, den Schwester mir jedes Jahr zuschickt, erinnerte mich immer wieder an sie und ihren letzen Wünsch…