Archiv für den Tag 11/10/2009

Life-Balance

Jeder Mensch pflegt auf seine bestimmte Art, den Kontakt zu dem wahren selbst zu pflegen. Manche pflegen ihn mit Bücher, manche mit Yoga. Manche mit Kaufrausch und manche mit Kafeekränzchen. Manche mit Wein und manche mit Tee. Ich bräuchte unterschiedene Wege, weil meine Neugierde „unersättlich“ scheint.
 
Seit langer Zeit praktiziere ich Zazen und Tee. In letzter Zeit war es ein wahres Luxus geworden, diese beide Wege zu beschreiten. Meine Selbstliebe leidet total unter dem Stress mit Shui Tang.
 
Weil es eben menschlich ist, Gruppendynamik zu entwickeln und zu leben, existiert überall die Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Ihr“. Wenn man plötzlich mit dem Leben nicht mehr ganz klar kommt und manchmal nicht immer zustimmen, was gechieht, wird man plötzlich „out“. So geschah es in der Zen-Gruppe, in der ich praktiziere. Für sie wurde ich plötzlich „fremd“ – in meiner Wahrnehmung.
 
Wer ist denn gerne „out“? Wer ist denn gerne eine „Fremdlinge“. Diese Empfindung behinderte in der Tat auch meine Schritte zu meinem Praxis. Ohne das regelmässige Praxis – die Regelmässigkeit ist für jeden eine andere – ist der Alltag voll und manchmal erstickend. Ich atmete kaum wirklich. Nur Atmungszüge, ohne Saurstoff. Den Alltag zubewältigen ohne Inspiration und nur Routine. Der Kopf dreht  sich im Kreis und das Herz ist verstopft. Ich liebe mich selbst nicht mehr, weil das „Ich“ kaum einen Raum bekommt.
 
Mein verstorbener Lehrer Michel sagte mir einmal, weil er wußte, dass ich faul bin und viele Ausrede finden kann, um den Weg auszuweichen. „Gehe ins Dojo ohne Liebe und Hass , nur aus Gleichmut. Warum sollte man sich freuen oder leiden, wenn man Zazen machen will?“ Ist ein Mensch besser, weil er Zazen praktiziert? Sicher nicht. Innerlich spürte ich immer mehr den Drang, es weiter zu gehen. Was die anderen über mich denken und verurteilen könnten nur mich behindern, mich zu entwickeln – wenn ich es selbst zulasse, aber mich nicht behindern auf meinen Weg zu gehen. Die wirkliche Freiheit, den innere freie Willen, den niemand weg nehmen kann, verwirklicht die tatsächliche Unabhängigkeit des Ich. Das zu tun, was einen wichtig ist, nicht weil es gelobt und missachtet wird.
 
Es war eine der wichtigen Lehre von Michel, dass man unbeirrt es tut, was einen bedeutet, nicht weil es beliebt oder belohnt wird. Die „Absichtlosigkeit“ im Leben schafft mir eine große Freiheit.
Shui Tang wäre heute nicht dort, wenn ich Dinge stricke mit Absichten, um Menschen zu gefallen.
 
Ich ging wieder zum Zazen. Zuerst begegnete ich ausweichende und misstraurischen Blicke. Mein Kopf fing auch an zu spekulieren, was sie alles über mich denken konnten – ich kenne diese Gruppendynamik gut. Die meisten Menschen verraten nichts, nur durch ihren Blick, was sie über Dich denken. Dadurch bekommen wir nie eine Chance tatsächlich die Dinge zu klären. Vor allem in einer Gesellschaft, die auf das vermeintlichen Konsens aufgebaut ist. Nur selten dumme Menschen sprechen die Dinge direkt an und versuchen anderen Menschen Möglichkeiten zu geben, auszusprechen und zu streiten.
 
Mit Mühe bemühte ich mich innerlich nicht auf diese Blicke zu reagieren. Tatsächlich ging es für mich nur um das, was mich berührt und interessiert. Ein gutes Bild in Augen des Anderen und eine tolle Karriere interessieren mich in der Tat selten. Ich wollte nur den Kontakt zu mir wieder schaffen. 
 
Da ich nichts beanspruche und komme und wieder gehe, wurden die Blicke weicher und freundlicher.  Mit der Zeit werden Lächeln und Begrüßung werden ausgetauscht. Wir kannten uns eigentlich schon so lange. Wir sind in der Tat eins. Wozu die Trennung zwischen den Herzen?
 
Es ist interessant zu beobachten, was das Nicht-Bewegen bewirkt. Es ist wichtig zu wissen, dass man beobachtet wird und Demut braucht. In diesem Demut verbirgt eine Größe, eine
Kraft, zu helfen, sich nicht zu bewegen.
 
Mit der Zeit spüre ich wieder den Kopf, der nun ein bisschen leere Zeile bekommen hat. Ich kann Dinge wieder besser wahrnehmen und lesen. Diese aufgeräumten leeren Zeilen sind Räume für Kreativität und Inspiration für Shui Tang. Es ist schwierig, Life-Balance zu erhalten. Für mich ist Shui Tang in wahrsten Sinn des Wortes die Prüfung des Lebens. Ich stelle mich dieser Prüfung. Eine gute Herausforderung.