Rarer Tee

Die Regenzeit. Wie geht es wohl dem Teepflanzen? Mir geht es gut unter dem Regen auf einer subtropischen Insel.

Kaum oeffnete ich die Tuer, alle lachten. Xiaoei machte gerade den Tee und sie meinten, dass sie seit heute morgen auf mich warteten. Ich weiss, sie warteten auf die Schokolade. Die Gesichter haben sich nicht viel veraendert. Sie meinten, aber ich sei duenner. Das Haus meines Lehrers Chen war voll. Voller Menschen, voller Teeduft und voller Lachen.

Mein Lehrer stand auf und ging ins Hinterzimmer. Xiaoei machte den neuen Tee. Steigender vielschichtiger Duft, suess und blumig. Ein Hochlandsoolong, meinte ich. Aber was fuer einen? „Der Lishan fuer den Holzkohle. Extra fuer Dich aufgehoben.“ Nein, nicht fuer mich, fuer Jiri, der mich immer wieder erinnert, unbedingt in diesem Winter diesen Tee zu besorgen! Also er wird sich bestimmt freuen. Nicht jeder Tee, nicht jeder Lishan kann man mit der hitze von Holzkohle „quaelen“. Nur einen guten Tee mit Substanz koennte man zu einem interessanten Tee befluegelt mit dem Duft des Holzkohle verwandeln.

Wir quatschten und klatschten. Die super Schoki von Reinhard (RVR) bezauberte die Atmosphaere mit Tee. Auf dem Tisch stand Prospekte von Toyota. „Hast Du ein neues Auto?“ Mein Lehrer war leicht verlegen, stand wieder auf und holte wieder einen Tee. Ein Tee, der unsere Augen gross und starr macht, meinte er.  Ein Tee, duftend nach Osmanthus und Jasmin, Aroma wie Tropfen von Krischliqor. Unsere Augen wurden gross und starr. Nach Minuten koennte man an dem Becher immer noch die Dufte Schicht fuer Schicht, Reihen an Reihen, klar und langhaltig schmecken. „Was ist das!“ “ Das ist mein Tee.“ Mein Lehrer laechelte voller Stolz. Er habe den Tee selbst gemacht. 1988 kuendigte er seine Stelle bei einem etabilierten Teefirma und machte sich selbststaendig. Dieser Tee stammte aus Yushan und wurde einer seinen ersten Tee. Ein Augenzeuger einer Zeit, in der er auf einen eigenen Weg wagte. In dieser Zeit, war der Teegaten noch anders verwaltet, die Einstellung zum Tee noch anders gepraegt war. Es war ein seltsames glueckliches Moment. wie kann ein gelageter Tee noch nach Blume dufen? Und so klar und nachhaltig? „Diesen Tee muss man vor Cheng verstecken.“ sagte unser Lehrer. Ausgerechnet erschien Cheng, sein Fondmanagerschueler vor der Tuer.

„Was fuer ein seltenes Gast!“ rief unser Fondmanager in seinem Armanianzug. Ich zeigte ein hoefliches Gesicht. Karma? Warum treffe ich ihn immer beim ersten Besuch? Er kam diesmal anstatt mit Maedchen, sondern mit einem Notizbuch voller Fragen. Wir wechselten sofort den Tee, einen nicht gewoehntlichen Tie Guanyin 1985. Onkel Chong machte Bemerkungen ueber ihn, weshalb er immer wechselnde Frauen um sich scharrt. Er sagte, dass es einfach viele schoene Frauen in diesem Beruf gibt. Aber er hat keine Zeit, meinte er. Er erzaehlte mir, dass er wieder viele gute Tees ergatterte und sie warten auf verkostet werden. Sie sind eben seine Nebenfrauen, die ihn gluecklich macht. Ein bisschen Neid spuerte ich und schwieg.

Ich stand auf und wollte gehen, meine Eltern warteten auf mich zum Abendessen. Xiaoei kam sofort mit aus der Tuer und habe etwas mit mir zu besprechen. Ich dachte, es ging um Streitigkeit. Nein, es ging um einen Tee.

Ein Tee, der aus Lishan in 80er Jahren stammte und von unserem Lehrer gemacht wurde. Ein Tee, den er fuer selbst aufhebt, nicht verkauft, weil er Stationen seines Lebens und der Veraenderung des Formosa Tees dokumentiert. Cheng hat geschafft, ihn zu ueberzeugen, an ihm zu verkaufen. Cheng brachte ihn das Geld fuer ein kleines Toyota und bearbeitete ihn fuer Monaten. Mit diesem Geld wechselte mein Lehrer endlich sein Auto, was seit langen Zeit noetig ist. Xiaoei haette auch gerne diesen Tee. Sie koennte sich aber nicht leiten, eine Kaufeinheit von 600g zu kaufen. Sie fragte bereits allen Schuelern und Freunde, die sie fuer verrueckt halten. „Wer kauft denn so einen teueren Tee?“ sie erklaerte mir, „Menglin, Du bist meine letzte Hoffnung. Weiss Du, es handelt sich nicht um Tee, sondern um die Geschichte des Tees!“ Sie moechte gerne das Dokument haben, bei sich aufbewahren und sich erinnern koennen, wie Formosa Oolong einmal war! Cheng bekam fuer das Geld, 3 Kgs. Er haette gerne noch mehr. Unser Lehrer verweigerte ihn. Der Tee sei ein Stueck Leib von ihm und Cheng besitzt nun einen Teil seiner Geschichte. Cheng hat es verstanden, aber die meisten Leute nicht. Der Tee sei nicht das Geld wert. Obwohl viele von ihnen LV- oder Gucci-Taschen tragen und selbst Benz fahren, wuerden sie nicht fuer das Geld gegen einen alten Tee tauschen. LV-Taschen und Benz bringen wohl viele glueckliche Momente im Leben, was die Leistung einer Person oeffentlich unterstreicht. Aber einen alten Tee zu Hause zu trinken, meistens mit Menschen, die den Wert nicht erkennen… Nicht ernennenswert!

Die paar Minuten veraenderten mein Bild von Cheng, dem Fondmanager. Als ein guter Spieler des Geldes hat er die Macht in Augen vieler Menschen: Erfolg, Sex und Prestige. Aber hinter diesem glaenzenden Armanianzug verbirgt eine feine einsame Seele. Er hat nie eine richtige Freundin und ist stets auf dem Wechsel – „Flucht“. Sein Zugang zum Tee ist durch Ansammlung von Wissen und Besitz des Tees. Er hat Geld. Er versteht, dass man mit Geld, das Leben paar glueckliche Momente verschaffen kann, wenn man sich nicht von Geld versklavt wird. In seinem inneren geheimen Garten ist es wohl von Teeduft und Teearomen bereichert. Trotzdem bleibt das Tor des Gartens verschlossen, keine Zeit bez. keine zugelassene Hoffnung. Mit wem will er denn den bezaubernden Tee teilen, mit jemandem, der Tee-Zauber versteht und darin als wenige glueckliche Momente des Lebens auch anerkennt?

Mit Mond, mit Wein und mit seinem Schatten trank der Dichter Li Bo (Tang Dynastie) in einer Vollmondsnacht. Er dachte, er sei gluecklich. Spaeter fiel er ins Wasser und wollte im Wasser den klaren Mond holen. Dann wurde er ertrunken gefunden.

Ich versicherte Xiaoei, dass wir zusammen die 600g kaufen. Das Geld kann man ja verdienen. Es kommt von ueberall her und fliesst auch ueberall hin. Der Tee wird mich viele schoene und unschoene Momente begleiten. Vielleicht bin ich auch gluecklich in einer Vollmondnacht am Zuerichsee mit meinem Schatten gemeinsam, den Tee zu trinken. Noch wahrscheinlicher werde ich ihn an der Spiegelgasse mit vielen vielen Teeliebhaber teilen und das Glueck verlaengern!

7 Gedanken zu „Rarer Tee

  1. Joseph

    Liebe Menglin

    Ich danke Dir ganz herzlich für diesen Text. Dein Tea-Blog ist wie dieser Formosa Oolong, den Du glücklicherweise erstanden hast: je länger Du Deinen Blog schreibst, desto mehr reifen neue Abschnitte und Düfte von Texten und Gedanken – Deine gesammelte Aufmerksamkeit wird wie dieser Oolong immer wertvoller… Schön, dass Du das mit der Welt teilst. Danke.

    War letzthin in der Spiegelgasse. Hoffte, bereits schon erste Spuren Deines neuen Teefachgeschäftes zu finden. Leider war noch nichts zu sehen. Ich wurde dann mit Deinem Nachbarn „Limited Stock“ belohnt: in der Gegenwart dieser ausgesucht schönen Gegenstände werden sich sicher viele Teeliebhaber finden, die zu Dir hereinschauen um Neues und Bewährtes zu erstehen.

    Ich freue mich schon auf Entdeckungen.

    Weiterhin gute Reisen,

    Joseph

    Like

    Antwort
  2. Menglin

    Zwei Joseph? Das verwirrt mich.
    Ich hoffe, Du hast Hubert getroffen. Das Limited stock ist tatsaechlich ein Alice Wunderland.
    Vielen Dank fuer Deine unterstuetzenden Woerter. Nun bin ich gerade auf dem Sprung zu Teeverkostung!
    Gruesse nach Basel!

    Like

    Antwort
  3. Joseph J.P.

    Um Deine Verwirrung aufzulösen schreibe ich neben meinem Namen jetzt noch Buchstaben meiner beiden anderen Vornamen dazu: also Joseph J.P.

    Und ja: ich habe Hubert getroffen und kurz zwei Worte mit ihm gewechselt, wir haben uns bis anhin nicht gekannt. Unglaublich wie sehr er Schönheit und Stil ausstrahlt und somit ganz „limited stock“ zu einem hochspeziellen Ort macht. Bessere Nachbarn kannst Du für Dein Teefachgeschäft nicht mehr finden.

    Viel Vergnügen bei der Teeverkostung!

    Joseph J.P.

    Like

    Antwort
  4. Menglin

    Das stimmt. Ohne Hubert waere das Projekt an der Spiegelgasse nicht moeglich. er ist der Geburtshelfer!
    Hubert ist eigentlich ein Bildhauer und hat eine Kundschaft von Kunstliebende. Ich sollte im Dezember bei ihm und Uli ein Praktikum machen. Also, Verkaufspraktikum. Ich muss lernen wie man hoeflich und freundlich die Kundschaft bedient. Ich freue mich auf die neue Herausforderung – Freundlichkeit auszustrahlen…

    Like

    Antwort
  5. Joseph J.P.

    Ich wusste – wegen seiner Visitenkarte – dass er Bildhauer ist. Habe im Laden allerdings keine Stücke von ihm entdecken können. Weisst Du, ob er da eine separate Galerie hat oder Ausstellungen macht?

    Beste Grüsse,

    Joseph J.P.

    Like

    Antwort
  6. Menglin

    Oh, das bin ich ueberfragt. Ich wuerde ihn direkt ansprechen. Die Telefonnummer steht bestimmt auf der Visitenkarte!
    Herliche Gruesse aus einer sonnigen Insel!

    Like

    Antwort
  7. GTaag

    Den Herrn Cheng gibt es sehr häufig. Ich sage nichts neues, sie sind mitunter anstrengend. Aber sie gehören dazu, wie das Salz in der Suppe. Würden sie fehlen, wer sagte uns etwas über das eigene Ich?
    GTaag

    Like

    Antwort

Hinterlasse eine Antwort zu Menglin Antwort abbrechen