Archiv der Kategorie: Kein Titel

Die Patina II

Plötzlich merkte ich, auch unser Leben bekommt die Patina. Nicht nur das Porzellan hat Problem mit der Patina, sondern auch ich.

Die Windpocken gehen nicht einfach spurenlos vorbei. Das Gesicht erholt sich recht rasch, aber paar Punkte mehr sind ehrlich gesagt nicht willkommend. Mein Körper wurde geschwächt, während die Arbeit nicht weniger wird. Ich bekomme die leise Schritte der Zeit, die an meinen Körper und meinen Geist färben und malen. Ich werde alt.

Nachmittags besuchte ein schöner junger Japaner Shui Tang und wir redete wieder über die Patina. Er, hübsch, jung und gut erzogen. Ich roch an seine gute asiatische Haltung von gutem Haus. Er fand alles spannend, was ich ihm so erzählte. Aber ich sah die Begeisterung seiner Augen und wußte, dass er mich nicht wirklich verstand. Nicht wirklich, weil er alles so poetisch fand, anstatt zu realisieren, dass es die Seufzer sind von einer alternden Seele. Er sei ein Mode-Designer. Also, versteht er die Patina?

Plötzlich wurde es mir bewußt, dass ich mein Leben auch so führen kann wie Porzellan. Das Porzellan erlaubt kein Patina. An Porzellan reiben, putzen und polieren wir, damit es jung frisch auszusehen. Und an uns? Wie wäre es mit Hyaluronsäure?

Dieser junge Mann interessiert sich für Pu Er. „Why?“ Er antwortet, „I am interessted for aged tea. I can not imagine about it!“ Ich seufzte wieder. Wir tranken den Rescue Pu Er 1990! Leicht rauchige Kiefernote, erfreulicher Kampferduft und sanfte erdige Ton. Wir wurden stil. Ich sagte, dieser Tee sei für mich ein Rescue-Tea. Seine schwarze Augen wurden hell. „Why?“ „Because of the Patina.“

Ein Tee, der durch die Patina sanfter, schöner und geschmeidiger werden kann, tut einfach gut.

„Then, what is a tea, which can not be old?“

„Matcha, Sencha and Gyokuro?“ Meine Augen waren voller Schalk. Diese Tees bewahre ich in Shui Tang im Kühlschrank, dessen Temperatur von der Gesundheitspolizei kontrolliert wird. Die Tees von Atong bewahrt er irgendwo in seinem Büro.

Hongyu und der Fremde

Ich dachte, dass ich Talent hätte für Fremdsprache.
Meine Mutter fühlte sich immer gestört, weil ich mich als kleines Mädchen mit sympathischen Fremden gerne unterhielt. Sie warnte mir immer vor Gefahr.
Mich interessiert das Fremde. Ich höre gerne zu und spreche gerne mit dem Fremden.
Als ich dann mit dem Deutsch aufhöre, eine weitere Fremdsprache zu lernen, klagte mein Vater über seine Fehlinvestition.
Irgendwie habe ich meine Leidenschaft verloren. Mit Deutsch verstand ich, wie schwer es ist, einen Fremden zu verstehen.

Mein Großvater war für mich der Taiwanese, der einmal Japaner war. Chinese war er nie. Seit ich mich erinnern kann, saß er immer in der Dunkelheit, trank seinen dunklen Tie Guanyin und ließ sich von Fernsehen begleiten. Das Fernsehen sprach eine Sprache, die er nicht verstand. Er war ein Fremder in seinem Land.
Ich kam nach Europa, lerne die Sprache der Fremden. Manchmal bin ich besser integriert, manchmal nicht. Häufig fühle ich mich wie eine Spinne, die aus ihrem Netz für immer gefallen ist. Manchmal weiß ich, dass ich mit dem Menschen hier mehr verbunden bin als mit meinen Landesleuten in der Schweiz. Aber wenn Osten oder Weihnachten sich nähren, sehe ich, wie die anderen rennen, wie die anderen backen und wie die anderen Festen planen. Dann wird es mir so klar, dass ich anders bin. Ich sitze in einem Ecke und beobachte, wie fremd ich bin.

Mit dem Älterwerden glaubte ich, den Stein meines Großvater zu verstehen. Ihn wirklich zu verstehen, ist es bereits zu spät. Seine Sprachen waren verboten und sein Gefühl war verlassen. Vielleicht begegne ich den einstigen Großvater mit seiner Geschichte im irgendeinem Museum und in irgendeinem Dokument. Sein vergängliches Leben in der wechselhaften Zeit ist begraben im Vergessen.  Mit dem Erwachsenwerden fange ich an, die Geschichte meiner Eltern zu interessieren. Ihre Geschichte und ihre Sprache erzählen mir eine fremde Geschichte in meiner imaginären Nähe. Und das passiert so ähnlich wie mit dem Tee. Ich dachte, Tee ist einfach nur aus Blätter. Ich wusste nicht, dass Tee auch Geschichte über ihre Menschen erzählen.

Hongyu Hongcha ist mein Liebling im Schwarztee. Einmal besuchte eine Obasan (Großmutter) Atongs Büro. Ihr Gesicht war voller Winkeln und ich las die Spuren der stichigen Sonne auf eine Insel der exotischen Wärme. Ihr Rücken war krumm, aber Atong (mein Teelehrer) erwiderte ihr seinen großen Respekt. Sie redete mit ihm in vollem Humor von drei Sprachen. Welche ist ihr fremd? Sie redete fließend Japanisch, ausgezeichnetes Taiwanesisch und solches Chinesisch wie mein Vaters. Atong erzählte mir später von ihrer Geschichten, die exemplarisch für diese Zeit ist. Sie pflückte Kaffeebohne, als die Japaner da waren. Sie pflückten Tee, seit es Jinxuan populär wurde. Sie wurde verheiratet an einen chinesischen Soldat als…. Sie lebt in Yuchi und macht heute Hongyu…

Ihre Stimme klingt immer noch am meine Ohr wie der Wind, der Kiefernadel streichelte… „Mädchen, ich muss immer schaffen, anders als Du. Wenn ich nicht schaffe, werde ich krank.“

Hongyu heißt rotes Jade auf Chinesisch. Eigentlich nannten ihn die Teebauer als eine Erinnerung an die schönen fremden japanischen Apfel Hongyu. Der Geschmack vom Apfel war für meine Generation auf dieser warmen Insel ein Hauch des Luxus! Hongyu war Synonym von absoluter Exklusivität!

Hongyu hat einen offiziellen Name auf der Insel. Er heisst, Formosa Teebaum No. 18.

Ich möchte lernen, endlich lernen, meine Eltern zu verstehen. Ich möchte auch weiterhin lernen, meine Menschen in der vermeintlichen Nähe und in der so genannten Fremdheit zu verstehen. Vielleicht fange ich an mit Zuhören. Ich bewundere Menschen, die an das Seminar Sprache des Tees im März teilnehmen möchten. Sie müssen sehr viel lernen. Sehr viel, vor allem das Zuhören.

Kiefernadel sind für immer grün 松樹千年翠

Häufig wurde ich gefragt, was heißt ein richtiger erzeugter Tee? Ist es nicht so, dass Geschmäcke sich verschieben und alles relativ ist? Ist es nicht so, dass Meinungsverschiedenheiten nebeneinander existieren – vor allem in einer multikulturellen Gesellschaft?

Am vergangenen Sonntag trafen viele Landesleute aus Taiwan zur Erinnerung des Massakers am 二二八事件 28.02. 1947. Shui Tang 水美堂 war ein Oase eines kleinen Diaspora Taiwans in einer kleinen Stadt zwischen den Bergen Schweiz. Der Botschafter war anwesend, Angehörige des Opfers waren da und die Schriftstellerin des Berichtes über das Massaker war ebenfalls anwesend. Es war ein Tag der historischen „Zufall“, der nie mehr passieren sollte. Wenn es Zufall sein sollte, wäre es nicht zu vermeiden. Wenn es eben nicht Zufall war, dann könnten wir etwas dagegen tun – durch unsere Reflexion.

Jedes Schicksal ist so verstrickt in seinem Denken und Fühlen mit seiner Leute und mit seinem Boden. Jedes Schicksal ist verwickelt mit dem anderen, sei es Freund oder Feind nur wegen dem Zufall einer Epoche. Wegen dem Zufall einer Epoche ist man gezwungen eine Rolle einzunehmen, die einen zu Tod oder am Leben führt. Wegen Zufall einer Epoche ist Handlungsfreiraum so bestimmt, dass man Opfer oder Täter werden kann.

Eine Insel im Pazifik erregte zuerst kaum Aufmerksamkeit von dem mächtigen Nachbar Chinas. Diese Insel fand nur Interesse bei den kolonialen Mächte wie Spanien, Holland, Frankreich, England und Japan. Diese Insel wechselte von diesem Herrscher zu jenem, die Menschen auf dieser Insel wird von dieser zu jener geschoben. Bei jedem Machwechsel wird neue Sprache gelernt, neue Identität gestiftet. Menschen können sehr lernfähig sein und die Taiwanese sind so zäh…

„Wer sind wir denn?“ war eine Frage nicht zu beantworten. Mit dieser Frage ging ich ins Ausland. Als ich 18 in London zum ersten mit dem wahren „Chinese“ konfrontiert war, wurde ich zutiefst erschüttelt. „Wer bin ich und wer sind wir?“ Mein Großvater schüttelte seinen Kopf und mein Vater schwieg.

Später hörte diese Frage auf, denn ich bereits für mich eine Antwort gefunden habe. Ich weiß nicht nur, wer wir sind, sondern auch wer ich bin. Aber, was kann ich dafür tun, so dass diese Insel nicht mehr wie eine Schachfigur hin und her geschoben wird? Oder zumindest, es ist keine einfache Verschiebung und es kann die Hände, die das Spiel beherrschen, wehe tun!

Im Neujahr wird immer in Teezusammenkunft gerne eine Schriftrolle aufgehängt:

Songshu Qiannian cui 松樹千年翠

Bu Ru Shiren Yi           不入時人意

Die Kiefernadel ist für immer grün;

während es den zeitgenössischen Menschen nicht immer gefallen.

„Was ist denn das, was die Zeit überdauert? Was ist das, was die Grenze überschreitet?“ das frage ich gerne zurück, wenn man mir die erste Frage stellt. Geschmäcke verschieben sich und die Trends wechseln sich schnellsten. Was machst Du in so einer Zeit und wie pflegst Du Deinen Geist in diesem Wechsel? Wie die Farbe von Kiefernadel? Oder wie das Cover einer Magazin?

Was ist das, was uns in Höhe und Tiefe des Lebens hält? Ist es, was wir haben? Oder ist es, was wir als „sein“ verstanden haben?

Wie schafft denn ein Volk, das immer zwischen fremden Interessen überleben muss und auf der Suche ist, nach dem „sein“?

Meine Literaturliste

Peter möchte meine deutsche Literaturliste haben. Gerne. Ich denke allerdings, dass diese Liste nicht der Vorstellung entspricht. Ich bin nun Mal so wie ich bin – eine Soziologin und mein Bild vom Tee ist sehr gesprägt durch diese Wissenschaft. Es ist mein Zugang, wie ich sehe, was Tee ist – nicht nur aus Blätter aus China, sondern ein Projektionsfläche der menschen Wünsche und Begierde und das Resultat von ihrer Handlungen und Wechselbeziehungen.

Adrian, Hans G.; Temming, Rolf L.; Vollers, Arend: Das Teebuch. München 1983.

Barlösius, Eva 1999. Soziologie des Essens. Weinheim und München: Juventa.

Berger, Willy R.: China-Bild und China-Mode im Europa der Aufklärung. Köln 1990.

Brand-Lederer, Ruth: Der Tee kommt nach England. In: Tee. Völkerkundemuseum der Universität Zürich (Hrg.). Zürich, 1990, 27-48.

Forrest, Deny: Tee und die Engländer. Braunschweig 1980.

Grösser, Helmut: Tee für Wissensdurstige. Das Fachbuch vom deutschen Teebüro. München 1999.

Jarry, Madeleine: China und Europa. Stuttgart 1981.
 

Kaufmann, Gerhard: Zur Kultur- und Wirtschaftsgeschichte des Tees. In: Tee. Zur Kulturgeschichte eines Getränks. Altonaer Museum in Hamburg (Hrg.). Hamburg, 1977, 7-26.

Küster, Christian L.: Teegeschirr und Teegeräte. In: Tee. Zur Kulturgeschichte eines Getränks. Altonaer Museum in Hamburg (Hrg.). Hamburg, 1977, 28-36.

Reimertz, Stephan: Vom Genuss des Tees. Eine Kulturgeschicht. Leipzig 1998.

Okakura. Das Buch von Tee. Inselverlag.

Schivelbusch, Wolfgang 1980. Das Paradies, der Geschmack und die Vernunft. Wien und München: Karl Hanser.
 

Storey, John 1999. Cultural Consumption and Everyday Life. London: Arnold.

Teebankett zum Abschied

Teebankett zum Abschied

Der Abschied rueckt immer naeher.
Wie immer wird das Abschiedsessen bei Atong bei seinem Chefkoch (Fuzhou-Kueche) gefeiert.
Der Fuzhou-Koch Afu bekochte uns mit Tee. Diesmal mit einer Ueberraschung von Krevetten im Teesud!

Die Zeit war sehr kurz, aber so intensiv.
Mit der Ambition mindestens 3 Kilos zuzulegen wurde ich überall gefuttert. Onkel Huang brachte mich zu unzähligen guten Kuechen und natürlich unser Super-Cafe Mykonoz gab mir viele schöne sinnliche Begegnungen mit Kaffee!

米克諾斯咖啡

台北市大安區新生南路一段165巷16號 02-27849176 /02-66176968 (dieses Cafe wuerde ich bei dem Besuch in Taipei niemals verpassen! Georg kaufte dort seinen Blue Moutain 250g fuer 70 Sfr. Teuer und exellent!)

Mein Shopping-Tour ist noch nicht fertig. Morgen geht noch einmal nach Yingge und dann nach Japan.

 

 

Bach und Mond

Selten mag ich die Zuschreibung von anderen Menschen über mich. Meistens hasse ich die Ettikette, was meine Familie mir zugewiesen hat. Ich liebe das Gefühl, als „unberechenbar“ zu sein. Unberechenbar ist nicht welchselhaft, nicht wahr? Warum will man den anderen berechnen? Auch wenn ich Tee sehr liebe, kann ich nicht auf meine Sucht zum Kaffee verzichten. Ich liebe Tee, auch Musik und Literatur.

Das Experiment mit Pi-Chin, westliche klassische Musik, chinesische Poesie und Tee zusammen zu verbinden hatte einen grossen Zulauf. Die Anwesenden hatten grosse Freude und wir hatten riesen Spass. Pi-Chin und ich nehmen nun die nächste Herausforderung an, die Einladung von Literaturhaus in Zürich anzunehmen, noch einmal, den kulturellen Brücke zu schlagen!

Was verbindet Bach und die chinesische Dichtung? Nichts anders als die menschliche Fantasie, die versucht, aus dem bescheidenen unvollkemmenden menschlichen Dasein das einfache Dasein zu färben, zu knüpfen und zu versüssen. 

Wie verbindet Mond Bach und die chinesische Poesie?

Pi-Chin interessiert sich für das Topic Mond. Wieder das gleiche Thema spielen wollen wir beides nicht. Wie langweilig… Nein, nicht wirklich. Nicht weil es langweilig ist, wieder die Verbindung zwischen Li Bo und Bach herzustellen, sondern weil es spannender und rissikoreicher ist, wenn wir etwas Neues wagen!

Kelten verehren Vollmond. In der Vollmondsnacht sollen Männer und Frauen zueinander finden und das freudige Triebe ausleben, um die Fortsetzung der Menschheit zu beglücken. Die alte chinesische Kultur ist nicht anders als die keltische. Der Mond war das Symbol der unsichtbaren Faden der treibenden Kraft, die Menschen zueinander führen oder auseinander reissen.

Diesmal wagen wir uns, die Musik Bachs im Himmel Zürichs schweben zu lassen, die Menschen den Raum und die Zeit zu überschreiten zu helfen, eine Reise zu unternehmen. Eine Reise in einem fernen, sehr alten Land, wo der Mond das menschliche Schicksal steuert, Menschen zu weinen und zu lachen bringt und viele viele Menschen in Höhe und Tiefe begleitet. Es wird uns bewusst, dass wir zwar nicht die gleiche Sprache sprechen, aber den gleichen Mond in einer Welt teilen. Und unser Herzen werden irgendwo in der Nacht im Mondschein treffen.

Am 28.11. Samstag, um 17 Uhr in Literaturhaus Zürich treffen wir uns im Mondschein in Klänge von Bach.

Suche nach Fremdheit

Wenn ich meine Augen schließe, sehe ich die rastlosen Vögel im Herbstwind, ratlos nach einem ruhigen Ast suchen.

Mitte September bekam ich einen unerwarteten Anruf, der mich genau an die frühere Zeit erinnerte. Es war eher ein Hilfsruf als eine Erkündigung nach dem Wohl eines alten Freundes. Ich wusste, dass er wieder unter der Depression leidet. „Was suchst Du?“ „Ich suche nach der Fremdheit.“ „Ich auch.“

 

Fremdheit, nichts anders als Herausforderung. Fremdheit überfordert einen, der nach Halt und Rahmen suchen. Fremdheit braucht einer, der nach Grenze des eigenen erkündigt.

Ich fragte einmal meinen Lehrer Atong, was ist es eigentlich, das ihn noch an Tee fasziniert. Atong ist nicht so gut gebildet, dass er mir genau „die Fremdheit“ nennen kann – er antwortet, der Spaß verloren zu können im Wettstreit mit der Natur oder mit sich selbst. Jedes Jahr bekomme ich Auftrag, einen ganz banalen Oolong zu besorgen. Fancy Oolong findet man überall im Teegeschäft und tatsächlich kein Geheimtipp eines Teeliebhabers. Als dieser Auftrag in diesem Jahr wieder erteilt wurde, bekam ich ein merkwürdiges Muster, das mich keineswegs nach Fancy Oolong erinnert. „Was ist das denn?“ „Das ist der Formosa Oolong vor Hundertjahren – der Formosa Oolong, der nach Amerika ging und den Weltruhm genoss.“ Leicht gerollter schwarzer Drachen, blumig honigsüss in Tasse. Leicht brotig und vollaromatisch. Ich sah ein goldenes Reisfeld voller Ertrag. Die hängenden Reisstroh schwingen im leicht kühlen Herbstwind. „Eine Herausforderung für Dich und Deine Spionen, nicht wahr?“ scherzte ich zu meinem Lehrern. „Weiß Du, man muss solche Felder zuerst wieder finden!“ Solche Felder ähnlich wie vor Hundertjahren, halb verwildert, praktisch nicht gepflegt und vergessen. Vergessen haben auch die meisten Teebauer, solche Materialien richtig zu verarbeiten. Vergessen haben auch die Pflückerinnen, die im heißen Wetter mühselig die bröseligen vergilberten Teeblätter zupfen. Wer gibt heute noch die Mühe? Und alles noch ohne Klimatisierung und ohne technische Manipulation. Fremd oder vertraut?

Atong lachte und ist überzeugt von der Einmaligkeit dieses Werkes – Wieder- Erfindung einer Fremdheit. Wie überzeuge ich denn meine Klienten im Europa im 21. Jahrhundert, die ihn nicht einmal kannte wie er einmal war. „Sehr fremd, aber sehr schön! Noch nie erlebt.“ Fancy Oolong Nostalgie – ich nennen diesen fremden Oolong inzwischen so, gleicht eine Kreuzung zwischen Gestern und Heute, zwischen eigenwilliger Natur und manipulierenden Menschen und zwischen Vertrauten und Fremden. Ein Durchgang zur neuen Verortung.

Flughafen oder Bahnhöfe sind beliebte Orte für mich, anderen zu treffen. Eine Heterotopie zwischen Gestern und Heute, zwischen Dort und Hier. Ich halte mich nur kurz auf, um Vorbeikommenden zu treffen. Keine Verpflichtung und keine Versprechung. Wir verabredeten uns genau an solchem Ort. Damit wir wieder erleichtert in verschiedenen Richtungen gehen können. Das Leben, was einst verstrickt war, trennt sich heute Meilen weit. Er jammerte. Wie kann man denn jammern, wenn man ein prächtiges Anwesen, eine Frau und eine Katze, sogar noch mehr besitzt? Genau deswegen. „Ich suche nach Fremdheit.“ Ich auch. Und noch mehr. „Ich suche nach dem Bedingungslose.“ Sagte er. Aber all was da ist, ist bedingt. Eins bedient den anderen.

Nur wenn Du A bist, bin ich B. Nur wenn Du A gibst, gebe ich auch Preis…

Was ist, das zeitlos bleibt? Was ist, das Bedingungslose ist? Die Frage ist nichts anders als das, „Ich suche nach Liebe. Wahre Liebe. Aber ich finde sie nicht.“ Ich seufzte. Ich hörte nur zu und wusste nicht, ihn zu trösten. Alles, was geschah, ist gut – so denke ich immer. Es hat einen Grund, auch wenn ich ihn heute nicht verstehe. Das Bedingungslose kann man vielleicht nicht nach Außen verlangen. Was ist denn mit uns selbst? Er sagte, er lebe lieber in der Illusion als Ent-Täuscht zu werden. Wenn die Illusion einmal auffliegt, ist nichts anders mehr als nur das Vertraute, das Banale…

 

Ich sagte ihm, was mich an Tee fasziniert, ist genau die unerschöpferische Fremdheit. Was ich beim Menschen oft nicht finde, finde ich im Tee. Es dufte nichts anders als in der Wissenschaft. Die Fremdheit, die sich immer wieder erfindet! Tee, ein Getränk, ein Begriff, eine Welt – aus tausenden verschiedenen Pflanzen, aus unendlicher Vergangenheit und aus einem unbeendeten Spiel zwischen Menschen und Natur – enttäuscht mich nie. Unversiedelter Quelle der Inspiration und des Raums vermitteln mir eine Freiheit, mich zu entwickeln. Ich suche auch nach dem Bedingungslose, auch wenn es heute noch unauffindbar erscheint, weiß es im Dunkel dass es gibt. In dem Bedingungslosen steckt eine Freiheit für Menschen, die Fremdheit zulässt, sich immer wieder zu erneuern. Shui Tang ist mein Versuch, diese Suche mit anderen zu teilen.

 

Die eisernen Vögel sollten uns wieder auseinander bringen. Plötzlich fing ich an zu weinen. Selbst wurde ich überrascht von meinem Weinkrampf. Er war geschockt und konnte nur meine Hände festhalten. Ich zitierte ihm sehr leise das Herbstgedicht von Li Bo. „Ich habe Heimweh und es ist so hart im Moment. Ich weiß wirklich nicht, ob wir uns jemals wieder sehen!“ „Ich komme, wenn Du mich rufst. Mein Versprechen.“ Er hielt mich ganz fest. Ich konnte in Armen eines wahren Freundes richtig weinen. „Du bist so vertraut!“ weinte ich.

Ich flog weiter nach Nürnberg, während das andere Vögel in eine andere Richtung flog.

三 五 七 言   

 
秋風清,秋月明,
 
落葉聚還散,寒鴉棲復驚。
 
相思相見知何日,
 
此時此夜難為情                                                        Li Bo 李白   

 

Life-Balance

Jeder Mensch pflegt auf seine bestimmte Art, den Kontakt zu dem wahren selbst zu pflegen. Manche pflegen ihn mit Bücher, manche mit Yoga. Manche mit Kaufrausch und manche mit Kafeekränzchen. Manche mit Wein und manche mit Tee. Ich bräuchte unterschiedene Wege, weil meine Neugierde „unersättlich“ scheint.
 
Seit langer Zeit praktiziere ich Zazen und Tee. In letzter Zeit war es ein wahres Luxus geworden, diese beide Wege zu beschreiten. Meine Selbstliebe leidet total unter dem Stress mit Shui Tang.
 
Weil es eben menschlich ist, Gruppendynamik zu entwickeln und zu leben, existiert überall die Unterscheidung zwischen „Wir“ und „Ihr“. Wenn man plötzlich mit dem Leben nicht mehr ganz klar kommt und manchmal nicht immer zustimmen, was gechieht, wird man plötzlich „out“. So geschah es in der Zen-Gruppe, in der ich praktiziere. Für sie wurde ich plötzlich „fremd“ – in meiner Wahrnehmung.
 
Wer ist denn gerne „out“? Wer ist denn gerne eine „Fremdlinge“. Diese Empfindung behinderte in der Tat auch meine Schritte zu meinem Praxis. Ohne das regelmässige Praxis – die Regelmässigkeit ist für jeden eine andere – ist der Alltag voll und manchmal erstickend. Ich atmete kaum wirklich. Nur Atmungszüge, ohne Saurstoff. Den Alltag zubewältigen ohne Inspiration und nur Routine. Der Kopf dreht  sich im Kreis und das Herz ist verstopft. Ich liebe mich selbst nicht mehr, weil das „Ich“ kaum einen Raum bekommt.
 
Mein verstorbener Lehrer Michel sagte mir einmal, weil er wußte, dass ich faul bin und viele Ausrede finden kann, um den Weg auszuweichen. „Gehe ins Dojo ohne Liebe und Hass , nur aus Gleichmut. Warum sollte man sich freuen oder leiden, wenn man Zazen machen will?“ Ist ein Mensch besser, weil er Zazen praktiziert? Sicher nicht. Innerlich spürte ich immer mehr den Drang, es weiter zu gehen. Was die anderen über mich denken und verurteilen könnten nur mich behindern, mich zu entwickeln – wenn ich es selbst zulasse, aber mich nicht behindern auf meinen Weg zu gehen. Die wirkliche Freiheit, den innere freie Willen, den niemand weg nehmen kann, verwirklicht die tatsächliche Unabhängigkeit des Ich. Das zu tun, was einen wichtig ist, nicht weil es gelobt und missachtet wird.
 
Es war eine der wichtigen Lehre von Michel, dass man unbeirrt es tut, was einen bedeutet, nicht weil es beliebt oder belohnt wird. Die „Absichtlosigkeit“ im Leben schafft mir eine große Freiheit.
Shui Tang wäre heute nicht dort, wenn ich Dinge stricke mit Absichten, um Menschen zu gefallen.
 
Ich ging wieder zum Zazen. Zuerst begegnete ich ausweichende und misstraurischen Blicke. Mein Kopf fing auch an zu spekulieren, was sie alles über mich denken konnten – ich kenne diese Gruppendynamik gut. Die meisten Menschen verraten nichts, nur durch ihren Blick, was sie über Dich denken. Dadurch bekommen wir nie eine Chance tatsächlich die Dinge zu klären. Vor allem in einer Gesellschaft, die auf das vermeintlichen Konsens aufgebaut ist. Nur selten dumme Menschen sprechen die Dinge direkt an und versuchen anderen Menschen Möglichkeiten zu geben, auszusprechen und zu streiten.
 
Mit Mühe bemühte ich mich innerlich nicht auf diese Blicke zu reagieren. Tatsächlich ging es für mich nur um das, was mich berührt und interessiert. Ein gutes Bild in Augen des Anderen und eine tolle Karriere interessieren mich in der Tat selten. Ich wollte nur den Kontakt zu mir wieder schaffen. 
 
Da ich nichts beanspruche und komme und wieder gehe, wurden die Blicke weicher und freundlicher.  Mit der Zeit werden Lächeln und Begrüßung werden ausgetauscht. Wir kannten uns eigentlich schon so lange. Wir sind in der Tat eins. Wozu die Trennung zwischen den Herzen?
 
Es ist interessant zu beobachten, was das Nicht-Bewegen bewirkt. Es ist wichtig zu wissen, dass man beobachtet wird und Demut braucht. In diesem Demut verbirgt eine Größe, eine
Kraft, zu helfen, sich nicht zu bewegen.
 
Mit der Zeit spüre ich wieder den Kopf, der nun ein bisschen leere Zeile bekommen hat. Ich kann Dinge wieder besser wahrnehmen und lesen. Diese aufgeräumten leeren Zeilen sind Räume für Kreativität und Inspiration für Shui Tang. Es ist schwierig, Life-Balance zu erhalten. Für mich ist Shui Tang in wahrsten Sinn des Wortes die Prüfung des Lebens. Ich stelle mich dieser Prüfung. Eine gute Herausforderung.
 

Der Todfeind der Trennung

Ich möchte gerne hier paar Zeile mit Teefreunde teilen. Paar Zeile, die mir viel bedeuten und vielleicht Dir auch Impuls geben – für Dein Leben.

Diese paar Zeile erhalte ich von jemandem, den ich sehr respektiere – wie meinen Vater. Er sagte er sei wie mein Vater. Ich behandele ihn wie meinen Vater. Ich bat ihm um Rat und Hilfe, erzähle ihm, was mich bewegt und begeistert. Ihm erzählte ich von dem schönen Vollmondfest und gratulierte gleichzeitig seinen Geburstag:

Lieb von Dir, daran zu denken. Danke vielmals! Der Geburtstag war gestern und zwar 69. Wenn Du die Zahl anschaust, siehst Du, dass es die einzige ist im Laufe eines Menschenlebens, die eigentlich das Yin und Yang darstellt, das männliche und das weibliche Prinzip, also das Ganze. Dieses Ganze ist der Todfeind der Trennung. Die Krise unserer Zeit liegt darin, dass so unendlich Vieles getrennt ist, ganz besonders das, was eigentlich Leben bedeutet. Dein Ort an der Spiegelgasse ist einer der wenigen Punkte, wo Du versuchst, Ganzheitlichkeit darzustellen und zu leben. Ich denke, dass dieses einer der Gründe ist, warum sich so viele Menschen dafür interessieren. Wenn es gelingt, dieses Prinzip des Ganzen auf eine wirtschaftliche Basis zu stellen, dann hast Du gewonnen – und mit Dir alle jene, die zu Dir kommen.

Ich wünsche Dir eine gute Woche.

Euch wünsche ich auch eine schöne Woche!

Vor paar Minuten

Vor paar Minuten ist etwas passiert. Etwas Ähnliches, was wie in Solln bei München passiert war.

Am den schönen Sonntag, der Bundestagswahltag, fuhr ich nach Bodman. Ein seltener Ruhetag für mich. Wir schauten zusammen das Ergebnis der Wahl an und seufzten. Bei Rückfahrt sagte mein Teevater zu mir, was die Wahl ihn enttäuschte. Keiner von den Politiker hat das Thema in Solln thematisiert. Die Menschen interessieren sich scheinbar nur für die scheinbaren Zahlen, scheinbaren Erfolge und scheinbaren Wohlstand. Das tatsächlichen Moral, das das menschlichen Leben im Alltag regelt, ist eine Untat! So schauten die Münchener Städter zu, wie ein Mann von zwei jungen Männer zum Tod verprügelt wurde. Und was dieser Mann erhielt, war nicht die sofortige Hilfe und die nötige Unterstützung, sondern das verspätete Verdienst der staatlichen Verdienstorden…

Eine Wegschau-Gesellschaft – so hat man vor paaren Jahren bereits in Deutschland thematisiert.

Gerade kam ich aus Shui Tang auf dem Rückweg nach Hause. Bei Stauffacher stieg ein betrunkener Mann ein und wollte unbedingt neben mir sitzen.

Ich hatte keinen Grund, ihn es abzulehnen. Schliesslich gehört der Platz jedem. Er war betrunken. Ich habe nichts gegen betrunkene Menschen. Jeder hat seinen eigenen Abgrund – ich kenne meinen. Manche fliehen in die Arbeit, manche zum Alkohol, manche zum Sex. Unsere Gesellschaft ist so zivilisiert, dass wir nicht mehr wissen, wie wir mit unserer Aggresivität umgehen – ich einschliesslich.

Der unbekannte Mann war nicht sehr angenehm. Er wollte mit mir sprechen. Ich nahm es einfach so an, wie es war. Irgendwann ist Goldbrunnenplatz angesagt und ich wollte aussteigen. Er verweigerte mir den Weg. In diesem Moment sah ich meinen Fehler – ich hätte wohl ihm nicht am Gang sitzen lassen sollen. Nun war ich angewiesen von ihm. Ich stand einfach am Platz. Alle im Tram sahen es. Ich hatte nicht wirklich Angst. Es geschah zu schnell und ich war konzentriert auf jeden nächsten Schritt. Im Grunde genommen hatte ich keine Angst vor einem betrunkenen – denn ein Betrunkener hat ein weiches Herz – ansonsten würde er nicht selbst zerstören und zur Scheinwelt fliehen…

Ich schaute mich im Tram um. Die Passanten registrierten es. Zwei Männer nickten ihren Kopf zu mir. Sofort kam einer aus der linken Seite, während der andere aus rechten Seite kam. Einer sprach dem betrunkenen Mann ruhig an, während der andere ihn härterer anfasste. Sekundenlang und blitzschnell… Ich konzentrierte mich auf meinen nächsten Schritt. Wie komme ich aus diesem Sitz? Das Tram hielt, die Tür öffnete. Plötzlich stieg der Betrunkene aus dem Tram – fluchtartig und mein Weg wurde gleich frei.

Voller Dankbarkeit schrie ich „Vielen Dank“ in die Luft, zu den beiden unbekannten Kavalier in Zürich! Zwei Kavalier mit Immigrationshintergrund haben mich gerettet. Es ist mir nicht so passiert wie der 50jährige Mann in Solln, nicht weil ich Glück habe, sondern weil die Menschlichkeit hier gelebt wird! Vielleicht ist Zürich tatsächlich nicht wie eine Grossstadt, sondern wie ein Dorf…

Ich fange an, Zürich zu schätzen.