Mashu See
Die Luft war frisch, als wir in Hokkaido ankamen. Wie immer lud einmal im Jahr mein Vater seine Mitarbeiter ein, zusammen einen Auslandsausflug zu unternehmen. Als Dank fuer die gute Zusammenarbeit auszudrucken. Jedesjahr reisen sie ins Ausland und wie die meisten Taiwanese reisen sie am liebsten nach Japan.
Eigentlich war ich nicht sehr interessiert mitzukommen. Am liebsten haette ich nach Kyoto reisen wollen. Aber Hokkaido geniesst einen guten Ruf in Taiwan und gilt als Paradies fuer die wunderschoene Landschaft und unberuehte ehrliche Japaner!
Nie war der japanische Widerspruch so sichtbar wie in Hokaido: das Pendel zwischen „Natur“ und „Kuenstlichkeit“, „Wir-Japan“ und „Sie-Fremde“. Die Landschaft ist schoen, aber kuenstlich angelegt. Der Jahreszeitswechsel wird kollektiv zerebriert – mit Wetterbericht von Kirschbluete und Ahornblaetter, ueberall werden ueberfuellt von Menschen, die Kirschbluete „mit zuschauen“ und die verfaerbten Ahornblaetter „mitzaehlen“. Hotels sind voll, man sieht nur Menschen koepfe und die Natur ist von der Menschenmenge vergewaltigt. Man zerebriert den Wechsel von der Jahreszeit, um den Naturrythmus zu verkunden und zu spueren. Andererseits gibt es jegliche Suessigkeiten und Eingelegten Gemuese genau zu diesem Wechsel, aber voll mit Fabrstoffe und Konservierungsmitel verstopft. Ich habe meine Mutter mehrmals verhindert etwas zu kaufen. Sie bedankte sich gar nicht bei mir, weil sie keine Geschenke mit Hause mitnehmen kann. „So etwas kannst Du doch niemand verschenken!“ sagte ich. „Das ist egal! Die Leute vertrauen Japan!“
Bei der formellen Teezeremonie servieren wir auch wertvolle Suessigkeit aus Pulverzucker und Farbstoff. Ich habe es nie verstanden. Warum Tee-Geist mit dem mit Farbstoff verfeinerten edelen Suessigkeit etwas Gemeinsames haben koennte. Denke ich zu materialistisch?
Selbst im Brot wird Farbstoff beigemischt. Selbst in dem so genannten mit goldenem Preis ausgezeichneten Kuchen oder Dessert werden mit mehreren Farbstoff verschoenert. Auch in dem Zutaten von Sushis, getrockeneten Krevetten, Gewuerzsosse und Algen… Ich sah es und wurde sprachlos. Ich bin sicher, dass Taiwanese viel natuerlicher leben wollen als die Japaner, die mehr Wert auf Aussehen legen als die Gesundheit!
Die Reise ging aber weiter in die Bergen. Ich sah europaeische Blockhaus im tiefen Hokkaido. Ein Chalet nach einem anderen. Ein Blockhaus nach einem anderen. Die Landschaft ist sehr Europa. Ja, ich vermisse das japanische Kitsch. Das Kamera wurde ueberfluessig. Ich haette im Europa bleiben koennen. Das imitierte Chalet hat etwas verraten, so dass ich es als japanische Chalet bezeichnen kann: sie sind eine Nummer kleiner und haben meistens keinen Garten! Sie stehen so nah an die Strasse, so klein und doch so gross fuer das Grundstueck. Was das Phaenomen noch mehr verraet, ist wohl, was Japaner ueber sich selbst und ueber die Anderen in Europa denken. Ich habe gelesen, dass solche europaeische Haeuser sehr begehrte B & B Mode sind.
Mein Onkel sagte zu meiner Aeusserung: „Du lebst ja in Europa. Deshalb ist es fuer dich nichts besonders. Du willst das vermeintliche Japanische – das Kitsch – und wir, die urbanisiserten Asiaten wollen das „natuerliche“ laendliche Europa moeglichst „NAH“ erleben!“