Archiv für den Monat August 2009

Der Ort der Übung

Mein verstorbener Zenlehrer Michel sagte mir vor einem Jahr vor seinem Tod, „Stark sein ist nicht stolz sein.“ Ich dachte die Essenz seiner Worte zu verstehen.

Natascha kam unbeschwert zu mir und wollte bei mir Tee lernen. Was habe ich ihr beizubringen? Sie wollte alles lernen. Von Haltung bis zum Schmecken. Von Tee bis zum Duft. Die erste Übung, die sie bekam, war die Teegeräte zu polieren. 

Ich putzte gerade den Boden von Shuitang, der durch den Regen schmutzig wurde. Sie wollte meine Arbeit übernehmen, so dass ich die höhere geistige Arbeit machen kann. Auch wenn ich putzen hasse, weiss ich, das Putzen die beste Methode ist, den eigenen Dreck von meinem Kopf und Körper auszutragen. Ich liess sie die schönen Teegeschirr und Teedosen polieren. Eine Arbeit, die viel Konzentration und Geduld braucht. Eine Arbeit, wie man mit der Konzentration eigenen „Geist“ überall überträgt.

Die schönen Teegeschirr wurden plötzlich schöner. Natascha machte ihre Arbeit ruhig weiter und ihr Gesicht war fein und friedlich, wir sprachen nicht, weil wir plötzlich das Bedürfnis nicht mehr haben zu sprechen. Ich beobachtete das gut erzogene Mädchen, das in der Ruhe einfach ihre Aufgabe machte – mit Liebe, nicht Leidenschaft. Als Daniel seine Tochter zu mir brachte und sagte, sie würde mir im Laden helfen, habe ich es ehrlich gesagt nicht geglaubt. Man kann vieles versprechen, aber was tatsächlich geschieht ist oft eine andere Sache. Vor allem bei einem jungen Mädchen. Ich sagte nicht Nein, aber auch nicht ein klares Ja. Ich dachte, es manifestiert sich so wie so, wie es sein sollte. Wenn Shuitang es will, will es so sein.

Am vergangenen Samstag waren die kleinen Familie von Daniel bei mir. Seine Frau sagte mir, wie glücklich sie ist, zu sehen, dass Daniel mit mir befreundet ist. Er ist so glücklich, dass er sich mit Tee beschäftigt und so glücklich, als er von Taiwan zurück kam. Ich sah ihr glückliches Gesicht, weil er glücklich ist. Ich spürte die Liebe zwischen den beiden. Ich spüre das Glück, wenn einer den anderen wirklich liebt, weil er sich einfach für den anderen freut. Was für eine glückliche Familie, die vielleicht nach Aussen einfach und bieder aussehen könnte?

Natascha kam tatsächlich seit zwei Tagen. Sie zog sich kurz um und sass ganz ruhig am den langen Antik-Tisch. Patrizia war da und sie kamen sofort zu einem Gespräch. Ich versuchte die beiden zu zeigen, wie man eine Teetasse elegant in der Hand hält, ohne angespannt und nervös zu wirklich. Sie waren verblüfft begeistert. Dann kam die Irene, die mich angeblich endlich kennen lernen konnte, weil sie seit langem das Blog liest. Sie hat mir gesagt, sie ging schon paar Male an Shuitang vorbei, aber sah mich immer beschäftigt mit anderen Leute. Heute traute sie endlich die Schwelle zu überwinden. In diesem Moment war ich von ihrer Direktheit und Zuneigung sehr berührt. Ich spüre eine Art von Demuth, ein Gefühl, das meinem Leben in wahrsten Sinn des Wortes widerspiegelt. Dieser Shuitang ist von vielen vielen Menschen getragen, nicht von mir. Ich weiß, wie hilflos und schwach ich in der Wirklichkeit bin.

Aber Irene kam nicht wirklich wegen mir. Die heute frisch angekomende Jadekanne hat sie gerufen. Sie war sofort verliebt in dieser feine Kanne, die unter dem Licht leuchtend grün schimmert! Die Jadekanne will mit Irene nach Hause…

Natascha übt ihre erste Lektion mit Tee. Ich übe meine Lektion mit Leben. Das Leben ist eine Baustelle. Ich übe, stolz sein ist nicht stark sein.

 

 

日日是好日 Jeden Tag ist ein guter Tag

Jeden Tag ist ein guter Tag. Jeden Tag ist ein anderer Tag!

Mein Großvater sass oft in seinem großen Stuhl, trank seinen Muzha Tie Guanyin und betrachtete alles mit einer Gleichgültigkeit. Für ihn war es wohl, jeden Tag ist ein guter Tag. 

Ich erbe eher die Laune und Temperament meiner Großmutter, reagiere oft auf Ereignisse mit Leidenschaft. Das Leben richtig zu leben und selbst zu werden führen für mich nicht an dem Weg vorbei, Schmerzen und Verletzungen zuzulassen. Das Problem für mich ist – jeden Tag ist oft nicht ein guter Tag.

Shui Tang zwingt mich genau es zu erleben, dass jeden Tag ein guter Tag ist. Eine Gleichgültigkeit, die mich von Urteilen und Meinungen befreit.

Es waren Supertagen, direkt nach meinem Geburtstag. Wenn es jeden Tag so wäre, könnte Shui Tang gut behaupten. Kunstsammler waren bei Shui Tang, sie haben die schönen Dinge bewundert und abgeräumt. Es war interessierte Menschen mit inspirierenden Gesprächen. Als ich meine Schätze auspackte, war das Haus voller Euphorie und ein Glück strömte in jedem Gesicht. Ja, Schönheit ist das Zaubermittel, Menschen zu beglücken. Nicht das Besitzen, sondern das Teilen und anfassen, bewundern, austauschen…

Manchmal kommt ein angemeldeter Profi zu der Degustation vorbei. Dann können wir tatsächlich eine Zeitreise unternehmen. Die Fahrt nach Alishan durch Nebel und hohen Wälder, durch die Zeit und durch die Reifung. Staunende Gesichter, glückliche Augen und unvergessliche Zusammenkunft.

In solchen Momente weiß ich, ja, ich mache die Dinge, die mir Freude machen – und es ist gut so.

Aber machmal kommt jemand, der Dir von Anfang an sagt, er trinkt bis jetzt Darjeeling und sie hätte gerne Lapacho. Ich kann mich nur entschuldigen, dass sie vielleicht zu einer anderen guten Adresse wie Schwarzenbach gehen könnten. Dort werden sie bestimmt sehr gut bedient. Als sie unglücklich wurden, wußte ich, dass ich sie mit Düfte von Oolong doch verführen konnte.

Man kann andere Menschen erst ein Wink geben, wenn sie mit ihrem HABEn nicht mehr zufrieden sind. Man kann auch andere Menschen weiter helfen, wenn sie selbst artikulieren und nach dem Gründe oder Alternative fragen.

Die Schätze von Shuitang können sich erst offenbaren, wenn der andere bereit ist, weiter zu gehen.

Das gilt ähnlich wie bei Tee. Nicht jeder kann gleich mit Baxian anfangen, nicht jeder kann mit Benjamin Button (Alishan 2004 -inzwischen heißt dieser Tee so in Shuitang) befreunden.

Manchmal kann man mit jemandem sehr nah werden, wenn beide es zulassen. Manchmal kann man immer nur das gleiche wiederholen, bis die Zeit sich wieder ändert. Ich habe nichts zu beurteilen. In Shuitang bediene ich jeden so, wie es ist.

Dann kommen manchmal Allwissender und Künstler, die bereits alles kennen. Sie sprechen mit Dir auf einer selbstdarstellerischen Art, manchmal um Dich zu prüfen, machmal um einen Kontakt mit Dir zu schaffen – ich bemühe mich nicht zu beurteilen über diesen Menschen, nur meine Wahrnehmung zuzulassen. Auch ich kann lernen, Menschen immer weniger zu beurteilen und immer mehr sein zu lassen. Vielleicht findet man gemeinsam auf eine Ebene, wo man erneut miteinander richtig kommunizieren kann – aufeinander einzugehen anstatt von sich zu reden. Das gelingt nicht immer, aber ich kann es lernen.

Die Degustation mit Herrn Schwander vor einigen Monaten war eine einmalige Erfahrung. Das, was er mich tief im Herzen berührte, war nicht sein Können, sondern seine Persönlichkeit. Er sagte mir, je mehr er sich mit Wein beschäftigt, desto weniger versteht er ihn. Ich sagte damals zu ihm, ich habe ein großes Vorbild für meinen Weg gefunden.

Als der Mann, der in Shuitang lange verweilte, alles angeschaut und mich prüfte aus der Tür austrat, fragte ich mich, ob ich früher nicht auch so wie er mit Negativität und Selbstinszenierung in anderen Laden „begutachte“? Ich beobachte die Menschen und frage nach mir selbst. Wie war ich und wie bin ich? Wer bin ich?

Wo kann ich anfangen? Wo soll ich aufhören? Inwieweit kann man mit diesem Gegenüber tiefer gehen? Was habe ich überhaupt zu geben? Ich lerne, Menschen zu respektieren, nicht zu beurteilen. Jeder ist auf seinen eigenen Weg Richtung Glück und Erfolg. Ich bin nur einfach da, mehr nicht.

Jeden Tag ist langsam ein guter Tag.

 

Einladung zur Einweihung

Einladung zur Einweihung

Heute Nacht kann ich nicht schlafen. Was mich begleitet, ist Gedanke. Gedanke, die sich um Kreis drehen und mich nicht loslassen. Nach dem Aufstehen begleitet mich nun eine Tasse Dianhong.

Ich denke an die Einweihung und an das, was alles fertig gestellt werden muss. An die Rede, die ich wohl halten muss, an das Programm und an das Opiumbett und an seine Kissen…

Ich drucke die schönen Karte mit Vorsicht – das entspricht gar nicht meiner Natur (!) und falte sie mit großer Aufmerksamkeit (noch weniger …). Die gefragten Gäste in Shui Tang nahmen ganz vorsichtig die schöne besondere Karte entgegen. „Es ist uns eine Ehre…“ ich höre es seit zwei Tagen. Der beste Lob an Helden, die mein Text korrigierten, an Chragi und an Ursula!

Ach, diese Mühe… 

Mit H plane ich das Programm. Ich bin so dankbar, so einen tollen Mentor haben zu düfren und tolle Freunde wie Teresa, Hitomi und Christoph, die Shui Tang unterstützen und ihre Performanz präsentieren werden. 

Wie viele Leute sollen kommen? Ich wurde mit dieser Frage konfrontiert. 

Wenn es nach mir, eine Person, die durch und durch von der chinesischen Chaos-Theorie gesprägt ist, gehen sollte, würde ich sagen, so viel wie Kosmos mir schickt. Mein Mentor schüttelte seinen Kopf. Er sagte mir, wir sind hier in der Schweiz. Die Leute haben nicht gerne eng in einem Raum zusammen zu hocken. Außerdem – wie ist mit den Gläser und Tassen und dem Kulinarischen… Es muss organisiert sein, liebe Menglin!

Warum denn? Wie könnte ich jemanden wegschicken, der sich Mühe gibt und den Weg auf sich nimmt? Jeder hat doch freie Willen, nicht wahr? Wenn es einem wichtig ist, dabei zu sein, die Zusammenkunft geniessen zu wollen, dann würde er sich Mühe geben. Wenn es einen wichtiger ist, viel Raum für sich zu beanspruchen, dann würde er den Raum verlassen. Es ist doch auch durchaus in Ordnung – ich bin bestimmt nicht beleidigt. Jeder bekommt das, was er will. Warum soll ich mit meiner Hand dabei etwas steuern und blockieren? Ich hätte große Mühe, Menschen vor der Tür abzusetzen, die freiwillig kommen!

Ich respektiere die selbst manifestierten Dinge.

Warum sollte es perfekt sein? Das macht doch kein Spass.

Why not?

Es wird sich selbst manifestieren, oder? – So denke ich eigentlich immer. Man kann das Leben nicht durch und durch organisieren. Auf viele Frage bekommt man einfach keine Antwort, die sich nur durch Taten und Zusammenhänge manifestiert, anstatt mit Kopf zu klären. Außerdem ist unser Handeln meistens sehr unbewußt und von bestimmten Trieben gesteuert. Um Rästel zu „erraten“ kann man oft nur anhand den manifestierten Taten ablesen anstatt zu spekulieren.

Mein Mentor schüttelte noch einmal seinen erfahrenen Kopf. 

Also, auch wenn ich sturr bin, habe ich das Verständnis von meiner Beschränkheit und lerne Vertrauen in Menschen zu haben, die gut mit mir meinen. Also, die Einladung wird abgeschickt und die Teilnahme ist per Anmeldung organisiert. In einer perfekt funktionierten Uhrwerk-Gesellschaft wie hier, muss man weit vorraus planen. Hier geht ein anderes Denken und Handeln – ich bekomme noch meine Lektion.

Trotzdem fällt es mir schwer, herzlichen und Mühe gebenden Menschen vor der Tür stehen zu lassen. Freunde würden diese Aufgabe für mich übernehmen, sagten sie. Ich lachte katzenhaft. Mal sehen.

Glücksbringer

Glücksbringer

Ursula wußte, dass ich Mühe hätte, mit Blumen-schenken und Vase. Sie dachte, sie könnte im Wald etwas Glück für mich finden. Tatsächlich fand sie ein Glücksklee!
Die wunderbaren Blätter zeigen ihr Freude heute morgen im Shui Tang. Ich staune über die Ausstrahlung des Glücks. Hier möchte ich mich noch einmal für alle Freunde, die mir heute noch per SMS und Emails gratuliert haben!

Ein Supertag!

Ein Supertag!

Mein Geburtstag hat wunderbar angefangen!

Bevor ich aufgestanden bin, klingelte bereits das Handy. SMS, eins nach dem anderen! Dann erhielt ich ein wunderschönes Mail von Andy aus Erfurt, ob er nichts von diesem Tag wusste. Seine liebe Worte taten mir sehr gut und das schöne Dokument von ihm wird mir eine zeitlang auf meinen Weg begleiten!

Eigentlich habe ich keine Zeit, keine Musse und keine Lust, etwas für eine Fest zu machen. Aber Miriam sagte mir, ich sollte es unbedingt, gerade, weil es eine anstrengende Zeit ist! 

Ganz spontan rief ich Freunde an und schrieb paar Mails. Alles kamen! Alle!

Die Vase war natürlich wie immer ein Problem für mich. Andere Freunde wußte von meinem Makel und brachte mir Orchideen! Drei schöne weißen Orchideen bekamen ich von drei verschiedenen lieben Freunde! Duftende Rosen, großen Sonnenblumen für das Sonnenkind und riesen Parardiesvögel… Ich kann mit geschenkten Blumen nicht umgehen. Wer sagt, dass Frauen immer gerne Blumen haben? Lieber Champagne!

Ohne Carola wäre alles nicht möglich. Sie kaufte für mich ein und streichte das schöne Partybrot. 5 Flaschen Champus haben wir weggetrunken. Ich hätte noch mehr geschafft.

Die Passanten spazierten neugierig vorbei, auch der neugierige Russe. Ich wollte ihm ein Glas Champagne. Roman fragte einfach, ob er eine Tasse Tee haben konnte. Ein verwirrter Gast, der einfach plötzlich da ist. Sehr lustig. Er schrieb mir sofort seine Adresse, weil er unbedingt bei der Einweihung sein möchte – die Teilnahme von diesem Fest wird leider per Einladungskarte organisiert. Er bewunderte meine schlechte Kalligraphie und meldete sich bereits für einen Kurs, der noch gar nicht gibt. Seine Handschrift war wunderschön, bereits ein Meister eigentlich… Sehr kurios.

Dann kamen eine englische Familie, ein altes japanisches Ehrpaar… Was für eine Fest, ja, mein Geburstag!

Den schönen Abend wurde wunderbar beendet, ich bekam noch einen Anruf aus Irland! Dieser Anruf hat mich riesig gefreut!

Ich danke alle, allen lieben Freunde! Ohne Euch wäre mein Leben ohne Farbe, mein Tee ohne Duft! Mein inneres Feuer, es brennt, lichtvoll.

Müssen, Wollen und das Lebenstrom

Shui Tang ist seit zwei Wochen im Betrieb. Es war eine trubelente Zeit in jeglicher Hinsicht. Ich habe das Glück vor vielen Freunden weinen zu können, bei vielen Freunde meine Sorgen erzählen zu können und über mich selbst lachen zu können.

So wie Shui Tang heute steht ist nicht meine Leistung. Es steckt viele viele unsichtbare Helden dahinter. Oft wurde ich gefragt, ob ich nich stolz auf das Teehaus bin. Stolz auf etwas sein? Das Gefühl kenne ich nicht. Ich weiß, ich „muss“ Shui Tang nicht tun, ich will es einfach. Ich will es und tue es einfach. Ich fühle mich dabei nicht als etwas Besseres. Ich habe nicht vor Menschen zu erfreuen oder zu gefallen, ich bin einfach da.

Ich sehe Menschen kommen und gehen. Machmal kommt welche kritische edele Dame, die mich ganz kritisch unter die Lupe nimmt, nach etwas Bestimmtes sucht und bei Shui Tang nicht findet. Ich bewege mich nicht. Shui Tang muss niemanden gefallen. Shui Tang ist einfach da. Es ist einfach da für Menschen, die es schätzen. Ein „Müssen“ erzeugt eine Abhängigkeit. Aus einem „Wollen“ entsteht eine Freiheit – für sich selbst sein.

Zwei Todesfälle, ein Krankheitsfall und dann eine Hochzeit habe ich in letzter Zeit intensiv erlebt. Das Leben treibt mich in einer Richtung, vor der ich beängstigt begegnete. Sehr oft dachte ich, dass das Kosmos (der Gott) mich verlassen hat. Später erinnere ich mich wieder, dass das Kosmos immer mit mir in Eins ist. Oft spüre ich mein inneres Selbst nicht mehr, erledige nur die Dinge, ich funktioniere bloss… Bis es mir klar wurde, ich kann nicht gegen etwas kämpfen, nur für etwas.Ich spürte mein Feuer nicht mehr, irgendetwas wurde zu viel zugelassen, was mir nicht gut tut.

Einmal unterhielt ich mit Atong und Onkel Zhong. Onkel Zhong war ein Big Boss von Textilien-Industrie. Seine Geschichte erzählt er nie. Wie ertägt er, immer im Hintergrund zu bleiben und diesen kleinen Laden täglich zu hüten? Die beiden alternden Männer sagten mir, „Nur um selbst treu zu sein. “ Sie suchen keine Anerkennung, wollen nur Freude, Freude an Tee, Freude an Teilen mit Freunden.

Die Geschichte mit Shui Tang ist gleichzeitig mein Selbstfindungsprozess. Ich sehe, wie ich meine Umgebung „beseele“ und von meiner Umgebung „beseelt“ werde. In diesem Eins-werdenden Prozess erkenne ich mein inneres Feuer wieder, das lichtvoll brennt, auch wenn ich es nicht wahrneme. Ich spüre das Lebensström wieder so stark, dass ich fast weine. Auf der Zugfahrt an den Bodensee ertaunte ich wieder die saftigen grünen Wiesen, die lässigen Kühen und die feuchte Luft. Die Blumen wollen mich nicht unbedingt erfreuen, sie sind einfach nur da. Alles geschieht von sich selbst – durch das Lebensströmen.

Baxian 八仙單欉水仙

Manchmal können die Dingen den zweiten Anlauf nehmen, scheitern aber an dem gleichen Punkt. Im Labyrinth der Gefühlswelt und der Menschen wird man wohl das gleiche Muster weiter wiederholen, bis man die Zusammenhänge einmal verstanden hat. Ein vermeintlicher Stich erzeugt einen anderen. Wir haben nichts von der Vergangenheit gelernt.

Als ich im Frühling 2006 den Baxian zum ersten Mal probierte, rünfte ich meine Nase. Dieser Tee sollte nach Pfirsich und Aprikose duften. Ich roch nur Fisch, Faulness und Laub. Vor allem erinnert er mich an meine Neujahreserlebnisse meiner Kindheit. Meine Großmutter kochte im 1.1. immer ein spezielles Senfgemüse, das mich genau an Faulness und Laub erinnerte. Das Gemüse sollte Glück bringen. Ihr Laune war nicht besonders glücksbringend und ihr Gemüse war im Auge eiens Kindes weniger als ein Glück.

Gerstern war ein ruhiger Tag. Plötzlich kam jemand in den Laden hinein spaziert, mit einer Sonnebrille und einem T-Shirt. Ich dachte, dieser Sunnyboy hat sich geirrt. Plötzlcih rief er „Miss Chou!“ Ich musste laut lachen. Ich kenne diesem Gestalt eigentlich immer nur mit Anzug und Kravatte und ich dachte er sei noch auf der anderen Seite des Erdkugels. Er sei vor paar Stunden firsch angekommen und morgen jettet er wieder in eine andere Richtung. Ja, ich roch noch sein Jetleg. Auch wenn wir uns im Moment seltener sehen und Gespräche meistens das Private ausklammern, weiß ich, dass er tief in mich schauen kann. Er scannte mich ein, auch jeden Fugen voller Schmerzen. Ich sagte, ich sei müde. „Du wußte, dass Du mich jeder Zeit anrufen kann. „Ich bin gut erzogen und störe niemanden bei der Arbeit.“ Ganbate (Gebe nicht auf), Menglin, schrieb er mir vor einer Woche. Dann erzählte er mir voller Freude, wie er mich zum ersten Mal gesichtet hat, wie ich Champus ein Glas nach dem anderen trank. Er wollte unbedingt meine Eltern in paar Wochen kennen lernen, weil sie zu meiner Einweihung kommen. Ich schüttelte meinen Kopf, ich wäre nicht scharf auf seine kennen zu lernen. Wie ein Sturm verschwand er wieder von meinem Horizont, aber ich lachte.

Es ist so, wenn man einen öffentliche Funktion hat, beobachtet man das Kommen und Gehen von Menschen. Ich frage nicht nach warum. Manchmal berüht man eine oder den anderen. Man lernt verschiedene Gestalt kennen und lerne, sie kommen und gehen zu lassen.

Ich lerne auf den Weg viele interessante Tee kennen. Es ist mir zwar bewußt, dass der Tee meine Reife braucht, um ihn zu verstehen. Reife einer Person kann man eben nicht erzwingen oder erwarten. Es geschieht oder nicht. Seit jenem Frühling lag der Baxian ganz ruhig in einer Dose und wartete vergeblich nach einem zweiten Anlauf mit mir.

Weichware-Entwickler Hans ist aus hohen Norden zurückgekert. In seinem Ferien wollte er mir bei der Korrektur des Teetextes helfen. Leider kam ich nicht dazu, geistig mit Tee zu befassen. Er erzählte mir von seinem Besuch bei Kristine und wir tranken den köstlichen Tee seiner neuen Entdeckung. Wie wäre es mit einem neuen Baxian? Im April sagte Aton mir, dass er mehrere Tees für mich vorbereitet hat. Einer davon ist Baxian. Damals dachte ich, vergeblich. Ich sagte ihm nichts, weil ich Vertrauen in ihm habe. Aber diesen Tee rührte ich nicht, seit er hier ist.

Tee trinken und entdecken braucht man Weggefährten. Ich bereitete den Baxian 2009 in Gaiwan zu. Langsam stieg der Duft in die Nase. Leise, präsente und konstante blumige Duft, der sekundeschnell zum reifenden Frucht wechselte. Nach paar Sekunde von Zögerung wechselte die Grade der Reife. Das reife weisse Pfirsich wartet nun auf meinen Biss. Süss, pfirsichfruchtig und sanft. Hans suchte in diesem Tee seine Bilder aus seinem Speicher und ich dachte an den verschlossenen Dose von vergessenem Baxian 2006. Auch Aton hat Schritte gemacht. Mein Lehrer gibt seinen Anfängergeist nicht auf, er geht immer weiter und bleibe nicht dort, wo er einmal war. Und ich?

Meine Kehle reagierte balsamiert auf diesem Tee. Nach paar Schlucken von dieser Köstlichkeit roch ich noch einmal die Tasse. Eine ganz klare Meldung von einem kühlen süssen nächtlichen Duft stieg hervor und ich wußte sofort, was es ist. Es war in Mingjian, mein erster Besuch bei diesem alten Haus von Aton. Er führte mich durch den Garten und zeigte mir die Blütendüfte. Nachts, als wir von Aming nach der Produktion zurück kamen, roch ich die feinen Blumen, der in Taiwan eigentlich fast in jedem Garten nächtlich duftet. Der Duft in der Nacht, heisst dieser Blume „Yei Lai Xing“, er war so präsent. 

Vielleicht wurde ich tatsächlich reif für diese neue Begegnung mit Baxian. Dieser Baxian ist trotzdem kein Tee für jeden. Er wird nicht populär und gehört zu einem bestimmten Schrank und einer bestimmten Seele.

Gerade goss ich noch einmal den gesperrten Baxian 2006 auf. Die Pfirsich-Note und das fruchtige Süsse ist eindeutig zu merken. Die anderen unangenehmen Gerüche sind nur unwesentlich zu schmecken. Die Zeit hat diesen Tee „gereift“ – oder mich?