Archiv für den Tag 11/01/2009

Angst und Vision

Angst und Vision

Foto: Ein Kulturnachmittag mit jap. Kammermusik, Lesung und Tee in Zürich

Freundin Anna kam aus Berlin und war zutiefst besorgt wegen meinem neuen Projekt mit dem Teehaus an der Spiegelgasse. Sie redete mir zwei Tage lang über die Gefahr, wie ich mich finanziell ruinieren kann. Ich sollte wieder zurück nach Deutschland und dort etwas machen anstatt in diesem Bergland umgebend von Mountain-People, die eigentlich nur Kühe und Bankier haben. „Was willst Du von den Menschen hier?“ „Nichts. Ich will nur meine Vision verwirklichen.“ „Hast Du keine Angst.“ Oh, doch. Eine ganze Menge.

 

Eine ganze Menge Angst begleitet mich schon seit Geburt. Angst steuert unbewusst unser Leben, treiben uns in die Anhängigkeitsbeziehung und entscheidet unseren Weg. Aus Angst werden wir konditioniert, auf den widerstandlosen Weg zu gehen. In einer Krisenzeit reagieren wir meistens auf Angst und aus der Konditionierung. Selten hören wir auf unsere Intuition. Auch wenn ich eine ganze Menge Angst beobachte, sollte ich mein Leben der Angst übergebe?

 

Urangst, die mit Existenz verbunden ist, ist ein Spiegelbild unseres Selbst. Ein Kampf ist von Anfang an verloren. Ich sehe sie und kann nur mit ihr befreundet sein. Angst kann mich bremsen, verhindern und meinen Boden wegziehen, in eine Abhängigkeit zu treiben, Menschen zu gefallen, Dinge aufzublasen und das wahre Ich aus den Augen zu verlieren. Muss man tatsächlich armselig werden, wenn man in der materiellen Armut steckt? Ist der innere Reichtum zwangsläufig abhängig von der materiellen Fülle? Ich sehe eine große Lektion des Lebens vor mir, eine Erbsenprinzessin.

 

Wenn die Angst die bremsende Kraft im Leben ist, was wäre die treibende Kraft unser armseliges Dasein?

 

In meiner ersten Reise nach China, traf ich mein „Teespion“ Luo in Fuzhou. Es war unsere erste Begegnung. Ein aufrichtiger schüchterner Mann, der mich in den ersten 15 Minuten nicht in die Augen anschauen konnte, zeigte mir mit einem chinesischen maskulinen Stolz die Stadt. Er lief vor mir und gab mir das Gefühl beschützt zu sein. Mit seiner in den Teebranchen tätigen Studienkollegin gingen wir zusammen in ein sehr edles Teehaus. Ein hübsches Mädchen geschminkt und geschmückt von einem chinesischen Kleid bereitete Tee für uns zu. Das Gespräch fing mit Celadon an. Luo fragte mich, ob ich koreanisches Celadon kenne. Ich liebte einst Celadon, Celadon in jeglicher Interpretation bis ich den Keramiker Hsu kennen lernte. Celadon, meistens ein Blendwerk, glänzt in grün. Selten schafft ein Keramiker Celadon matt und die Farbe zwischen Himmelblau und grün zu brennen. Koreanisches Celadon, andere Farbton, andere Art des Berührens und ein anderes Gefühl der Schwerkraft. Für mich ist das koreanische Celadon schwerer, dunkler und eigenartig. Wir sprachen über viele Dinge, viele schöne Dinge und noch mehr Dinge über die Schönheit des Lebens. Das Mädchen, mit ihren Orchideenfinger stets Tee zubereitete, fragte mich, ob sie alle diese schönen Dinge lernen kann, wenn sie nach Taiwan geht. Sie würde so gerne mit mir nach Taiwan gehen, diese schönen Dinge für ihr Leben zu lernen. Mich schauten sechs Augen an. Sechs leuchtende Augen voller Lebenshunger und Freude. Luo sagte, er würde gerne mit mir nach Taiwan gehen, bei meinem Lehrer Tee lernen. Seine Kollegin sagte, sie hat die Liebe zum Tee nie in dieser Form erlebt. Schöne Dinge geben uns Kraft zu glauben, dass das Leben sich zum Guten wendet. Schöne Dinge geben uns Licht und zeigen, wohin wir weiter gehen wollen – zur Veränderung, zum Aufbruch in ein anderes Ufer.

 

Wir suchen bewusst oder unbewusst die Nähe bestimmten Menschen. Wir vermissen bewusst oder unbewusst Begeleitung bestimmten Dinge. Manche finden es in Tee, manche finden es in Fernsehen, manche finden es in Sex. Die Dinge sind unschuldig und spiegeln nur, wer wir sind. Die Dinge sind unschuldig und spiegeln uns nur, wie wir sie sehen. Wie wir sie sehen, entscheidet dann, ob wir Glück anziehen oder Pech.

In diesen leuchtenden Augen am diesen Herbstabend sah ich Licht und die treibende Kraft in Menschen, die mir vorher unbekannt waren, aber ab jenem Moment Weggefährten wurden. Wir werden diesen kurzen Abend nicht vergessen, dass wir von schönen Dingen umgebend waren und so nah an die Schönheit des Lebens saßen. Wir waren im Einklang mit allen.

 

Heute Nachmittag lass Dirk den Text von Okakura. Was ist Teeismus? Okakura erklärte ihn in kurze Sätze:

Teeismus ist ein Kult, gegründet auf die Verehrung des Schönen inmitten der schmutzigen Tatsache des Alltags… Den Wesen nach ist er eine Vereherung des Unvollkommenen, denn er ist ein zarter Versuch, etwas Mögliches zu vollenden in diesem Unmöglichen, das wir Leben nennen.

 

Das Projekt, in der Bankenstadt Zürich ein Teehaus zu starten, ist ein zarter Versuch, etwas Mögliches zu vollenden in diesem Unmöglichen, das wir Leben nennen.