Archiv für den Monat Februar 2008

Der Geschmackssinn

Was wäre der wichtigste Sinn für einen Tee-Menschen? Ich habe mich noch nie mit dieser Frage beschäftigt, wenn ich nicht so verzweifelt wäre – wie jetzt.

Mein Geschmackssinn hat mich verlassen. Seit mehr als eine Woche schmecke ich nichts mehr. Nichts, nicht einmal den Duft des Tees könnte ich schnuppern. Nicht einmal der Neujahrechampagner. Nicht einmal die frische Wäsche.

Nichts, nichts könnte ich tätigen mit Tee. Keinen Degustationsbericht, der einen Einkauft entgültig stützt. Keinen Degustationsvorlschag, den meine Klienten erwarten, um Test vollziehen zu können. Keinen Degustationsnotitz, die frisch eingetroffenen Tee kontrolliert. Nichts, was ich einst als Selbstverständlichkeit betrachte. Nichts, was ich immer ganz locker annahm, dass es etwas gäbe wie Freiheit.

Wie hat Beethoven seine 2. Sinfonie noch geschrieben, als er taub wurde? Mit nur Tastensinn und Augen kann man sich mit Tee nicht beschäftigen.

Jeden Morgen bereite ich mir einen Buddha Hand und hoffe, dieser Tee mich mit seinem vertrauten Aromen und Düfte aus diesem Elend erweckt. Kein Wunder geschieht. Heute kam Freudin zum Krankenbesuch. Ich machte ihr eine Tassen Shuixian und Buddha Hand. Sie lobte den Tee und seufzte. Ich sass dort so taub wie ein Eisberg. Mir schmeckte es nach nichts. Es schmeckte nach nichts. Der Tee schmeckte nach nichts.

Ich weiss, was ich demnächst machen muss – eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschliessen.

Wie lagere ich einen Tee, der gelagert werden sollte?

Entschuldigung, dass ich erst heute wieder mit dem Thema von dem gelagerten Tee fortsetze.

Bevor man einen Tee zu lagern versucht, sollte man vielleicht sich zuerst fragen, wozu. Einen Tee einfach zu lagern ist ein Spiel mit Tee und Zeit – das ist nicht der Grund in diesem Beitrag. Einen schönen Tee könnte unter einer vor Feuchtigkeit geschütztem Bedingung besser (ungestört) fermentieren und dadurch eine charmante Geschmacks- und Duftverwandlung aufzeigen. Aus diesem Grund bewahren wir einen schönen Tee auf, der vor der Feuchtigkeit abgeschirmt wird und in einer geschlossen Situation, weiter nach fermentiert.

Wie man normalerweise Tee aufbewahrt, bräuchte man nur festzustellen, dass das Gefäss lichtdicht, luftdicht und nicht unter Temperatur-Schwankung steht. Man erzählte mir einmal, dass die Teelager in Hamburg so ideal sei, weil es grosse Hafenhalle gibt und wegen der Meerluft keine Temperatur-Schwankung gemessen wird. Temperatur-Schwankung ist eine entscheidende Faktor, ob ein Tee gut gelagert wird. Am besten noch an luftigen, dunklen und kühlen Ort. Wenn DU allerdings einen guten Geschmack hättest und unbedingt stilecht, Deinen Tee in Keramik-Gefäss lagern möchtest, wäre es sehr wichtig saubere gewachene Holzkohle auf dem Boden im Gefäss als Basis zu haben. Manche Anedokten preisen von Tee unter die Erde zu begraben – das halte ich für Schwachsinn.

Je mehr Menge Tee gelagert wird, desto unempfindlich wird die Lagerung.

Welche Teekanne wäre gut geeignet für einen gelagerten Tee? Bei der Keramik wäre eine Teekanne, die nicht in sehr höhem Temperatur gebrannt wurde und viel Wärme speichern kann, zu bevorzugen. Die Form wäre besser rund oder Oval. Warum? Ein gelagerten Tee löst sich nicht sehr schnell im Aufguss auf. Seine Blätter sind zäher, ledriger und veraltet. Er bräuchte mehr Zeit, mehr Wärme und mehr Raum. Darum: mehr Zeit bei jedem Aufguss nehmen, mehr Raum bei der Teekanne achten und das Wasser richtig zum kochen bringen!

Der faszinierende Pflaumenduft eines gelagerten Oolongs wird uns dieser Mühe belohnen und viele besinnende Stunde verzaubern.

Ich kann heute Nacht nicht schlafen,

Denn durch das halboffene Fenster

Dringt der Duft des Pflaumenbaums.                                    Otsonyu 1675-1739

Felsentee Da Hongpao

Felsentee Da Hongpao

美色无高下

Die Schönheit der Blüte ist nicht an einander zu messen,

花枝自短长

Der Unterschied zwischen den Blüten liegt an ihre unterschiedlich entwickelte Länge

青山俊董 Aoyama (Ikebana-Meisterin)

Als ich began, mit Tee zu beschäftigen, sahe in der Literatur die Orientierung. Später durch bittere Erfahrungen wurde es desillusioniert, dass der Tee eigentlich die Orientierung ist und die Literatur nur eine Orientierung anbietet. Dann bewundere ich zuerst nur die schönen blenden Blüte in der Teelandschaft, ohne es klar zu sehen, dass sie nicht die Welt des Tees allein bilden. Manche Teesorte brauchen mehr Zeit, um verstanden zu werden. Manche Teesorten sind von einfacher Produktion, könnten uns mit seiner Einfachheit beglücken. Berühmte traditionreiche Teesorten schleppen oft eine schwere Erbe mit sich herum. Je mehr Ruhm eine Teesorte geniesst, desto mehr Schwierigkeit bekommen wir ein wirkliches Verständnis zu erlangen. Die spärliche Menge erschwert unseren Zugang zu dem Originalen. Das Spiel auf dem Markt mit Schein und Sein kann weder Händler noch Laien durchblicken. Für mich gehören der Longjing aus Shifeng und der Felsentee (der älteste Oolong) aus Fujian zu solchen Kategorien. Da Hongpao ist wohl das bekannteste Exemplar unter den Felsentee.

Da Hongpao geniesst seine Stellung in der chinesischen Teewelt seit 35o Jahren. Die Legende, die Chinese so gerne pflegen, reichen von Affentee bis zum Göttertee. Aber das, was diesen Tee so unvergesslich macht, sei „Felsen Knochen (Geschmack) und blumiger Duft“.

Was ist dann das „Felsen Knochen und blumiger Duft 岩骨花香“? Wie kann so ein stark gerösteter Tee noch einen blumigen Duft aufweisen? Ich fragte meinen Lehrer in Taiwan paar Male danach und erhielt nie eine wirkliche Antwort. Vor einem Jahr gab er mir eine Tüte Da Hongpao beim Abschied. Er meinte, dass ich es VIELLEICHT irgendwann verstehe. „Das mit dem Blumenduft,“ lachte er herzig, “ ist ja die Sache der Poeten.“

Seit letztem Herbst meldet sich immer wieder ein junger Chinese, der über Tee promoviert und sich selbstständig machen wollte. Er suchte Anschluß nach dem Westen, das Tee nun anderes entdeckt. Zufällig oder unzufällig fand er mich im Internet und wollte jedenfalls, mit mir in Verbindung bleiben. Ich bat ihm nach klassischen originalen Teesorten zu „spionieren“. Eines Tages erhielt ich eine Sack voller kleinen goldenen Tütchen – 30 ausgewählten Felsentee! Das göttliche Geschenk brachte mich fast zu knien. Da dachte ich, dass ich dieses Geschenk mit anderen Menschen teile. Als erster war der Sohn von Miriam und Roger. Das kleine kannte es nicht, was für Schatz vor ihm stand. Aber seine Hand folgt seinem Unterbewußtsein, das doch von einer Außergewöhnlichkeit ahnte (siehe Foto).

Der Da Hongpao von diesem jungen Mann ist schön, solide und aromatisch. Malzig, fast schokoladig. Dazu ist der Preis wirklich angemessen. Ich entschied mich welchen zu kaufen. Paar Tage später gosse ich diesen mit dem anderen von meinem Lehrern zusammen. Der Vergleich markierte einen wahnsinnigen Unterschied. Der Da Hongpao war immer noch fürstlich, sauber und solide. Aber der andere stach mich mit einem Blitz, das durch meinen ganzen Körper strömte. Auf meiner Zunge lag das Felsen Knochen. Schwer, unverkennbar, felsig. Fast zu weinen, hob ich die Tasse eine Woche lange in der Küche auf, ohne zu wissen, wozu.

Später rief ich den jungen Mann an und fragte ihn ganz direkt, wo sein Tee angebaut wurde. Ist er ein halb Felsentee (nur am Rand von Felsen-Gebiet), oder ein Umgebungstee (stammt aus Umgebung, aber noch in Wuyi). Meine naive Direktheit brachte ihn zu kochen. Seine Wut liess mich durch die Telefonleitung spüren. Ich sahe meinen groben Umgangsfehler ein und versuchte ihn zu besänftigen. Die Originalität ist bei einem herrvorragenden Tee nicht entscheidend. Es ist nur entscheidend, wenn es darum geht. Ein gut hergestellter Tee muss nicht original sein. Ein originaler Tee kann nicht immer der beste sein. Aber als ein Teehändler sollte man wissen, woher und wie der Tee stammt.

Jenes Moment auf der Zunge war bis jetzt immer noch präsent. Ein majestätisches Power und eine unverkennbare Härte erfordern uns eine Reife, sich an ihn anzunähern. Der Aufstieg auf die Felsen war keineswegs leicht. Keineswegs lieblich, keineswegs blendend glorreich. Nur ein kurzes vergängliches und zugleich verewigtes Moment, wie ein Felsen zu sein. 

Ps. In Globus gibt es im Moment noch Da Hongpao von Mingcha zu kaufen. Jahrgang 2004. Da mein Geschmacksinn mich seit paar Tagen verliess, kann ich jetzt keinen wirklichen  Kommentar abgegen. Der Aufguss sah gut aus und wirkte spritzig auf der Zunge. 55g für nur 29 Sfr. Wirklich kulant.