Diesen kleinen 10jährigen Junge lernte ich vor einer Stunde kennen.
Es war Walters Vernissage. Walter hat immer gesagt, dass er mich gefunden hat. Ich stand gerade an der Tür, Shui Tang war gerade ein zwei Tage alt. Seit drei Jahren teilen wir ein Stück den Altstadt-Alltag Zürichs und ein Stück der gleichen Lebenseinstellung zum Leben – Konzentration auf das Wesentliche. Zu seiner Kundin zähle ich nicht, zu wenig betucht. Heute stellte er seine selbst entworfene Uhr dar.
Ich hasse Apero. Ich ging heute trotzdem hin nur wegen Walter. Als Freundschaftsbeweis hielt ich ein Glas in der Hand und schob ein bisschen Häppchen in den Mund, guckte mir die Gesichter an – ein Blick in den Zoo.
Ich wollte gehen und lief unbewusst zu Grossmünster. Dann entdeckte ich den kleinen Junge, der die Musik zuhörte. Er war so alleine. Er stand neben dem beleuchteten Schaufenster von Musik Hug und stand alleine auf der Treppe zum Helmhaus. Sein Schatten strahlte eine Ernsthaftigkeit aus. Er hörte konzentriert auf die Musik, die von anderer Strassenseite zu uns wehte. Es war Amadeus.
„Hey!“ Ich stand unauffällig neben ihm. „Was für schöne Musik, nicht wahr?“
„Ja.“ er war nicht erstaunt von mir angesprochen zu werden. „Ich liebe Amadeus!“
„Ja? Ich liebe Bethoveen!“
„Er ist ein bisschen verrückt.“
„Ja, ich auch.“
Er lachte. Er erzählte mir, dass er Klavier spielt und Musik liebt. „Stellen Sie Sich vor, wenn es in Zürich keine Musik gäbe! Es ist so schön, jetzt hier Musik zu hören und diese Kulissen zu sehen.“ Ich staunte über seinen Ausdruck. „Wie alt bist Du?“ „10! Morgen werde ich 11!“ er spannte seine Hände, um seine Grösse noch grösser zu machen.
„Waren Sie schon einmal in Dielsdorf?“ er erzählte mir mit einem romantischen Blick, „es ist die schönste Alpenpanorama, was Sie jemals sehen können! Das schönste Dorf bei Zürich!“ Er sagte, wenn Fön kommt, das Panorama der Bergen zu sehen ist, dann hört er so gerne Amadeus!
Plötzlich hörten wir ein Stück Winter von Vivaldi aus der anderen Strassenseite. Es war so schön neben diesem auferwecksten Junge, vor diesem wunderbaren nächtlichen Panorama bei dieser Musik. Plötzlich fing ich an zu weinen. Er schaute mich mit Fragezeichen an. „Ach, es ist so wunderschön.“ sagte ich. Er nahm meine Hand und zog mich auf anderer Seite. Er wollte mir einen anderen Blick von Zürich zeigen. „Schauen Sie – “ er schaute zu mir, „ist es nicht wunderschön?“ Ich lachte neben meinen Tränen. Ja, irgendwann wird er so weit sein, mit seinem richtigen Mädchen hier her zu kommen, ihr den schönsten Platz Zürichs zu zeigen.
Er will unbedingt nach New York City. Er will ein grosser Architekt werden. Er will Wolkenkratzer bauen, weil Wolkenkratzer so nah am Himmel ist! „Willst Du einmal fliegen?“ „Ich will weg! Ich will weg! Ich will in den Himmel fliegen.“ Ach, so süss, dachte ich.
Ich stand auf. „Ich gehe jetzt nach Hause.“ Er sagte nichts. „Ciao.“ winkte ich. Ich lief weiter und hörte kleine schnelle Schritte. Er lief mir nach, aber mit einem Distanz. „Ich will auch ein bisschen laufen.“ er sagte bloss so. Er hielt plötzlich auf der Strasse auf uns sagte, er würde jetzt so gerne am Fluss sitzen, den Fluss zu betrachten und Musik hören. Ich kniete und machte mich so gross wie er, damit er meine Augen sehen kann. „Ettienne, ich werde an Dich denken und den heutigen Abend nicht vergessen. Du wirst ein grosser Architekt werden!“ Er nickte seinen Kopf und schaute meine Augen an. Er berühte kurz meine Waschbärkappe. „Wenn Du willst, ich bin an der Spiegelgasse. Dort wirst Du mich finden. Wir können die schönste Musik von Bach hören! Weiss Du, seine Musik ist sehr sehr nah am Himmel – an den Sternen!“ dann stand ich auf, „Gehe zu Deiner Mutter. Sie wird sich Sorgen machen um Dich!“
Er hat nie nach meinem Name gefragt. Er weiss bloss, es war eine unbekannte Person mit einer Waschbärkappe. (Diese Begegnung hört sich so an wie das Stück von John Williams „Going to School„.)
Archiv für den Tag 05/12/2012
Eine Klause wo Kiefer und Wolken verweilen
Atong zeigte mir im hitzigen Sommer einen seltenen Oriental Beauty. Hässlich, sagte ich – unregelmässige Blätter und zerstückte Erscheinung. Er grinste und machte einfach den Tee in Gaiwan: „Dieser Tee ist so wie so nicht für Dich gedacht.“ Er wollte ihn nach Hongkong verkaufen. Als der Gaiwan abgedeckt wurde, stieg ein unglaublicher Duftwolken auf. Ich atmete tief und fand mich in einerm Sommergarten. Die farbigen Blumen duften nach Marzipan, nach Nektar. Die Bienen summen. Früchte reifen. Es ist die Zeit für ein Fest! Ein Fest der Sinne. Hmmmm, ich schloss meine Augen und machte sie wieder auf. Blitzschnell sagte ich zu Atong, „Nein, das geht nicht. Du kannst ihn nicht nach Hongkong verkaufen. Ich will ihn. Alles.“ Ich bin eine Dealerin, wenn es schnell sein muss, bin ich es eben. Ich weiss, dass man im Leben selten solche Perle treffen kann! Er lachte und streichte mein Ego, „Mädel, Du bist nicht schlecht. Man kann einen Tee eben nicht per blosse Augen und Nase betrachten!“
Als ich You kennen lernte, dachte ich auch, was für einen uninteressanten Menschen? Schweigsam und kaum Gesichtsausdruck. Atong mag ihn nicht besonders. Ich erzählte meinem Lehrer trotzdem, wenn ich ihn besuchen ging. Eine aufrichtige Beziehung möchte ich mit meinen Menschen führen, auch wenn sie es nicht gerne hören. Die Kollegen erzählten mir, dass You ein guter Geschäftmann sei. Seine Kunde seien sehr treu zu ihm. Er habe gute Strategie, Geschäft zu führen. (Während ich diese Zeilen schrieb, bekam ich gerade SMS von Alexander. Er schrieb: „Ein Mann sucht Dich gerade in Shui Tang. Du verkaufst Opium, nicht Tee, oder?“ Sehr wahrscheinlich hat er recht. Ich weiss nicht einmal, was ich wirklich verkaufe.)
Ob You ein guter Geschäftmann sei, ist seine Sache. Mit mir hat er selten gutes Geschäft gemacht. Dank Finanzkrise 2009 habe ich sehr viele wertvolle Teesammlung und Kanne erwerben können. Ohne ihn wäre es alles nicht möglich. Er hätte daraus ein gutes Geschäft erzielen können, aber er hat mir ermöglicht für Shui Tang, eine gute Fundament aufzubauen. Dafür bin ich sehr dankbar. Man lernt sich eben unbefangen kennen, weil man nur achtet, was getan wurde anstatt gesprochen. Er kennt mich nicht gut, besorgte mir alles, was ich ihm bloss einmal erwähnte: die wertvollen Kalligraphie, die Malerei, die in Shui Tang hängen. Die Siegelsteine, die er für mich selbst anfertigte. Die Lernmaterialien von seltenen Pu Er Tees. Auf einmal interessiert er sich für meinen Geschmack von Musik und Pina Bauch, weil ich meine Gedanke um Tee, Musik und Bewegung mit ihm austauschte. Ich weiss, dass er nicht ein Geschäftsmann ist. Er ist getarnt als ein Geschäftsmann, in der Wirklichkeit ist er ein typischer chinesischer Intellektueller aus der alten Zeit.
In der chinesischen Kultur, so wie ich vermittelt wurde, leben Menschen über die Zeit und den Raum. Wenn Menschen sich begegnen, handelt sich nicht um die Dauer und den Ort wo man sich begegnet, sondern den Geist zu Geist, Herz zum Herzen. Wenn es stimmt, stimmen andere Dinge von sich alleine. Im Westen spricht man gerne, um voneinander zu verstehen. Für mich, ist die Kommunikation anders. Ich muss doch keine Frage stellen, um eine Person wirklich kennen zu lernen. Ich muss es nur wahrnehmen. Das, was Menschen uns präsentieren, ist oft nur das Bild, was sie gerne selbst glauben. Das Wesentliche sieht man nur mit Herzen gut.
Ich spüre eine Klarheit und Zartheit, was der Pu Er, den ich in Shui Tang habe, für seinen Produzenten spricht. Ein klarer empfindsamer und in sich geruhter Mensch.
Er trennt sich nun von seinem alten Geschäftspartner. Im Januar eröffnet er sein eigenes Geschäft. Er schrieb mir heute ein SMS und wollte meine Meinung hören, ob der Name „Ein Klause wo Kiefer und Wolken verweilen – Song Yun Cao Tang“ mir gefällt. Ein Refugium, wo er für sich selbst gefunden hat. Ich sollte diesen Name ins Englisch übersetzen – eine komische Idee von ihm. Ich muss Joseph fragen, wie man es richtig übersetzt. Ich wünsche ihm alles Gute und danke ihm als ein Weggefährte.