Das vermisste Schaff

Für meine Eltern sei ich ein vermisstes Schaff. Das betonnten sie besonders gerne, als ich in Pupertät war.

Ich war tatsächlich immer wieder vermisst als ich ein kleines Mädchen war. Mein Vater sagte, mindestens drei Male drei richtige Such-Aktionen. Das ganze Clan ging auf die Suche. Ich wurde oft irgendwann gefunden und hatte etwas in meiner Hand zu essen, weil die Fremde mir kauften. Ich fragte meinen Vater, „warum ging Ihr denn mich suchen?“ Mein Vater fand meine Frage unmöglich, „Hast Du keine Angst? Wieso läufst Du gerne weg?“ Wieso? weil woanders immer interessanter aussieht als bei mir zu Hause, weil ich eher in meiner eigenen Welt lebte und lebe als ihre… Aber wie könnte ich denn meinen Eltern es sagen? Sie wissen eigentlich doch gar nicht, wo sie wirklich sind. Deswegen bin ich gerne vermisst. Laut meinem Grossvater, weinte ich nicht, wenn man mich gefunden hat. Ich lief einfach wieder mit zurück.

Tobias schrieb mir, dass das Teeblog inzwischen anders geworden ist. Ich kümmere mich viel weniger um das Faktische, sondern schreibe das, was mich bewegt. Keine einfache Zeile für Zwischendurch. Für ihn sei es lesenswert.

Einmal sagte Sandro, dass er manchmal sich fremd fühlt in Zürich. Denn hier wird überall Hochdeutsch gesprochen. Ich sagte ihm, „Möchtest du Schweizerdeutsch hören? Dann gehe doch einfach nach Konstanz!“ In Konstanz hört man fast nur Schweizerdeuscth. Ich stand heute mit Freunde in Karstadt und wollte Töpfe kaufen. Ich kaufe gerne Töpfe und Pfanne. Die Aktion von Kaufen gibt mir ein Gefühl, als ob ich damit super Küche zaubern kann. Plötzlich stand ein kleines blondes süsses Bube neben mir. Er zerrte kurz meine Hose und hatte ein Heft in der Hand. „Hallo!“ grüsste ich ihm – ganz normal wie zu jedem. „Hallo!“ Er lächelte mir an. Ich kniete runter auf dem Boden. „Was machst Du hier?“ „Ich suche meine Mami. Sie ist nicht mehr hier…“ Ich verstand sofort – ein vermisstes Schaff!
Ich schaute ihm an. Er weinte nicht. Er hatte klare Augen und guckte genau in meines Herz. „Also, Würdest Du mit mir kommen, Deine Mami suchen?“ Er nickte. So lief er ein bisschen hinter mir gemeinsam mit mir zum Kundendienst. „Wie heisst Du?“ „Sascha.“ „Wie alt bist Du?“ Er zeigte mir mit 4 Finger. „Wo wohnst Du?“ „Frauenfeld.“
Wir waren zusammen zum Kundendienst. Er lachte. Ich holte ihm einen Stuhl. Er setzte sich hin und öffnete wieder sein Heft. „Habe keine Angst.“ Er schüttelte seinen Kopf. „Hast Du Hunger?“ „Ja!“ er nickte. „Was magst Du essen?“ „Pommes mit Ketchup!“
Also, ich ging schnell Futter für das kleine Schaff kaufen. So schnell dass das Schaff sich nicht allein fühlte. Als ich wieder da war, war seine Mutter schon da. Die junge Mutter guckte mich sehr verlegen an und fing an über Sascha zu schimpfen. „Er lief einfach weg!“ Ich streichelte das Kind und sagte mit einer ruhigen Stimme zu ihr. „Sie haben ein wunderbares Kind! Er hat keine Angst und gerät nicht in die Panik. Er ist wunderbar!“
Ein Kind, das immer noch cool bleiben kann, auch wenn die Mutter verschwindet. Das ist ein Wunderkind. Warum schimpft die Mutter ihm? Warum ist nicht die Mutter diejenige, die vermisst wird anstatt dem Kind?
Ich kniete noch einmal kurz zu Sascha. Er wird sich niemals an mich erinnern – höchstens an meinem Waschbärkappe. „Guten Appetit! Du bist echt cool!“

Ich weiss nicht, was ich zu Tobias`s Kommentar schreiben soll. Ich bin ein vermisstes Schaff und läuft gerne irgendwie wohin auf den Nebenweg weg. Irgendwann werde ich wieder gefunden auf den „richtigen“ Weg, auf den ich nur wieder über Tee schreibe. Aber ich weiss, dass Tee viel mehr kann als ich. Tee ist viel mehr als nur Fakten. Und ich bin bloss ein Schaff, das gerne weg läuft.

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