Tai He 2006 und etc.

Ein Bericht über Tai He zu schreiben, fällt nicht schwer. Es ist insofern schwer, wenn man das Unsichtbare von Chou Yus Text und Vorstellung wörtlich materialisieren möchte. Es ist oft so, dass viele Beschreibung sehr esoterisch klingt, wie „die Bewegung des Qis“ und „Ganzheit mit dem Kosmos“. Man könnte alles behaupten, was einer glaubt, es bei sich zu spüren. Andererseits ist man keiner Rechenschaft schuldig, was man bei einem Tee empfindet. Jeder Duft, jeder Tee und jeder Geschmack ruft unterschiedliche Reaktionen und Assoziationen bei Menschen hervor. Was gäbe es denn da zu diskutieren?

Manchmal bin ich mit der Frage konfrontiert, warum der beschriebene Geschmack bei dem Fragenden nicht zutrifft, wie könnte er denn überhaupt etwas unternehmen, um ihn zu schmecken. Manchmal frage ich zurück, „Wenn Du/Sie Dich/Sich nicht begeistern lässt, wie so der Tee Dich/Sie begeistern?“

Wenn Du Dich nicht berühren lässt, wie möchtest Du andere berühren?

Mein junger Schauspieler-Freund Dirk, fast ein Ersatzbruder für mich, verlor gerade seine Freundin. Sie ist nach Europa gekommen, um eine Geschichte zu vergessen. Nach ihrem Heimat zurückgekehrt, um eine andere Geschichte zu vergessen. Er sagte, dass er nicht wirklich traurig sei, weil die Distanz zu groß sei, um überwunden zu werden. Es ist nicht die Distanz der Liebe, sondern die Distanz zum eigenen Selbstvertrauen. Er kämpft um seine Karriere und wurde gesagt, dass er stets eine Schleie trägt, seine Schauspielkunst die Menschen nicht erreicht. Er fragte mich bedrückt, was das bedeuten sollte.

Wenn Du Dich nicht berühren lassen könntest, wie könntest Du andere Herzen berühren? Wenn Du Deine Trauer nicht kennst, wie möchtest Du  anderen mit Freude anstecken?

Unsere Erziehung zeigt uns, wie wir einen guten und besseren Menschen sein können, um Anerkennung und Akzeptanz zu erhalten. Immer fit, in Topform und leistungsfähig. Verpflichtungen, Schuldgefühle und das Gefühl des Opfers hängen mit der Erwartung zusammen, anerkannt und akzeptiert werden zu wollen. In diesem Mechanismus hat ein wahres Ich kaum einen Raum. Darum könnten viele Menschen nicht riechen, nicht schmecken und nicht fühlen. Ihr Sehen und Denken fixieren nur auf sich selbst, nur ihre eigene Probleme zählen zu wichtigsten Ereignisse der Welt – wie oft muss ich Frage und Emails beantworten, die nach Hilfe schreien, aber erhalte selten nach dem Antwort einen Dank. Zum Glück mache ich diese Arbeit für mich selbst, nicht für die anderen oder für einen Dank.

Mit Vero konnte ich den Tai Ho zusammen „erforschen“. Sie hat eine gute Nase, eine geschulte Wahrnehmung und beherrschte hervorragende Präzision des Benennens. Der trockene Tee duftet in seiner trockenen Form leicht nach getrockneten Zwetschgen, leicht nach Teer und nach dem Holz. Sie sagte, dass die holzige Note eine Art von Lebenskraft in ihr erweckte. Im Aufguss schmeckte er anders. Ich sagte wieder – wie Blumenwiese. Eine Blumenwiese nach dem ersten Frühlingsregen auf einer subtropischen Insel. Es ist feucht, duftend, leicht nach Moor nach Waldboden. Leicht nach Algen, fügte sie hinzu, aber nicht nach dem Meer, sondern nach den feuchten glitschigen Urpflanzen der Erde. Der Aufguss war ergiebig. Die aufgegossenen Blätter sahen wunderschön. Keine Verletzungsstelle, sorgfältig verarbeitet. Das Gefühl des Paradieses – das Gefühl voller Dankbarkeit. Kein Verlangen und keine Erwartung. 

Einen Dank an Chou, Yu, einen Dank an alle Wesen, die es ermöglichte, dieses Moment zu erleben.

6 Gedanken zu „Tai He 2006 und etc.

  1. Suzanne

    Liebe Menglin, Du hast SO recht …:

    „Darum könnten viele Menschen nicht riechen, nicht schmecken und nicht fühlen. Ihr Sehen und Denken fixieren nur auf sich selbst, nur ihre eigene Probleme zählen zu wichtigsten Ereignisse der Welt – wie oft muss ich Frage und Emails beantworten, die nach Hilfe schreien, aber erhalte selten nach dem Antwort einen Dank. Zum Glück mache ich diese Arbeit für mich selbst, nicht für die anderen oder für einen Dank.“

    Ich habe so viele Freunde (die ich trotzdem gern mag), die seit JAHREN um immer die gleichen Probleme kreisen, sich im Kreis drehen und ihr Leben damit verbringen, immer wieder die selben Fragen zu wälzen … (dabei kreisen sie in der Tat immer nur um sich selbst…)

    Wie oft höre ich diesen Leuten zu … habe sie stundenlang am Telephon … schreibe mails ….

    Und mittlerweile sind wir alle „älter“ geworden, 40 Jahre und älter … aber die Probleme dieser Freunde sind nicht älter geworden – sie sind immer gleich! Meistens geht es um Beziehungsprobleme, immer die gleichen … immer andere Partner, aber trotzdem die gleichen Probleme …

    Es ist so schade, zu sehen, wie Menschen ihr Leben mit so einem Sch*** zumüllen, anstatt sich mit etwas anderem zu beschäftigen, was sie weiterbringen würde. Leider kann ich da nicht helfen.

    Komisch ist auch, dass man, wenn man es wagt, auch mal ein eigenes Problem zu äußern, nur „Pauschalantworten“ bekommt wie „lass dich mal nicht so hängen“ … daher habe ich mir Probleme einfach abgewöhnt, mir geht es immer gut, wenn diese Leute fragen, und das ist so das Beste.

    Manchmal habe ich Lust, ihnen zu sagen (wenn sie wieder mit ihren seit 20 Jahren gleichen Problemchen kommen), „Dann tu was, engagier dich woanders, bring Kindern in der Dritten Welt was zu essen, hilf alten Leuten im Krankenhaus oder im Altenheim … dann vergisst Du Deine kleinen Problemchen ganz schnell!“).

    Ich weiss nicht, manchmal gehen mir diese Luxussorgen einiger meiner Freunde (alles MÄNNER !!! – aber das nur nebenbei, und es gilt auch wirklich nicht für alle Männer, nur dass das klar ist) etwas auf die Nerven.

    Es gibt so viele echte Probleme auf der Welt … muss man sich dazu noch selber welche machen … ich denke nicht …

    Und wenn ich diese ganzen Probleme wirklich mal vergessen will (kleine und größere), dann mache ich mir (im Moment jedenfalls) einen Bi Luo Chun … der ist SO wundervoll, dass man (fast) alles sich herum vergisst …

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  2. Menglin

    Es ist nicht ein männliches Phönomen, dass man das Ich als Zentrum der Welt betrachtet, oder das gleiche Problem bei sich herum schleppt. Männer neigen vielleicht mehr dazu, an das Muster zu klammern, weil sie nicht gewöhnt sind, sich in den Spiegel anzuschauen und sich durch die Wechselbeziehung zwischen Menschen zu definieren. Sie definieren sich gerne durch fastbare Attribute und Status anstatt unsichtbare Verbindungen.
    Wenn wir merken, dass alle Handlungen Konsequenz verursachen, werden wir mit einem Spiegel konfrontiert. Um vor diesem Spiegel zu fliehen, verstecken wir lieber hinter dem Maske eines Opfers – die andere sind blöd. Dieses Phönomen können wir bei uns selbst beobachten, ich bin nicht befreit davon.

    Ich sage mir oft, mein Leben ist so schön und es bleibt mir frei, wie ich mein Leben gestalten soll – lieber Täter zu sein als der Opfer – denn ich kann mich entscheiden, ob die Sonne oder lieber das Gewitter mich begleitet. Ich kann mich ändern.

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  3. jan

    guten abend menglin,

    als erstes möchte ich mich bei dir bedanken,für deine tolle home-page mit deinem teeblogg.bei dir lernt man(n)und frau soviel und dies nicht nur über den tee.tee-trinken ist leben und geniessen und dies mit allen sinnen.für tee geniessen benötigt man(n) und frau zeit.in unserer heutigen zeit,mit all seinen reizen,verlockungen und terminen, wer hat da noch zeit,zeit für sich zu nehmen?sich zeit nehmen für sich wird immer wichtiger werden,nicht aus egoistischen gründen,vielleicht für mehr badeferien,sondern ich denke für mehr tiefgang,zeit für das wesentliche,zeit für qualität,egal ob dies in einer beziehung ist oder eben beim tee-trinken.nachdenken,erfahren,lernen,was mach ich überhaugt und warum und wie?mal wieder richtig durchatmen,sauerstoff ans hirn lassen.
    dein tee-seminar(zürich) im februar welches ich besuchte,hatte mich mächtig beeindruckt und hachhaltig beeinflusst.die art und weise wie du mit dem tee umgehst,mit und für den tee lebst ist einzigartig für uns europäer.wir sind nicht mehr so naturverbunden wie die menschen zb in asien(da bröckelt es auch schon),zu technisch,zu sehr aufs möglich wenig tun aus,mehr für weniger,ist das motto der meisten.aber,das berühmte aber,es gibt sie noch die einheimischen die mit tiefgang und naturverbundenheit zb.die biobauern(nur ein beispiel).noch vor ein paar jahren belächelt.sie wissen was sie machen,wie und warum.sie bewegen etwas auch wenn es zuerst nicht rentiert,es ist nachhaltig.muss eine beziehung rentieren oder sollte sie nicht möglichst langjährig und nachhaltig sein?gemeinsam kennenlernen,wachsen und gedeihen.tee kennen lernen,warum ist er so.du sagst,den tee verstehen,er möchte uns ertwas sagen.richtig, lassen wir es zu,ihn zuverstehen.ihn zu geniessen,sich zeit nehmen zum verstehen und zum geniessen.
    danke für deine tollen tee`s,der alishan ist einfach wunderbar.
    wir alle(tee-trinker und zur zeit noch nicht tee-trinker)werden von dir noch viel lernen können.es gibt nicht soviel persönlichkeiten,die ein so feines gespür haben wie du.
    ich freue mich schon aufs nächste tee-seminar,aufs tee-trinken,tee-erfahren und tee-geniessen.
    tschüss,jan aus dem schönen emmental(eine region zum geniessen)

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  4. Menglin

    @ Jan,
    vielen Dank für Deine ausführliche Wörter.
    Ich habe nicht die Absicht, andere Menschen mit meiner Liebe zum Tee anzustecken. Es geschieht einfach so, dass ich selbst manchmal überrascht bin. Ich habe wirklich nichts Besonders zu lehren – glaube es mir bitte. Meine Seminare könnten gut sein – es liegt eigentlich an Dir. Mit offenen Augen und Herzen findet man tatsächlich das Wesentliche im Leben – bevor es zu spät wird.
    Heute unterwies mir mein Lehrer Michel von Zen – es ist wohl seine letzte Unterweisung – „der wahre Menschenkörper“. Bevor es zu spät wird, bevor wir wesentliche Dinge oder Personen aus dem Augen für immer zu verlieren, werden wir den wahren Menschenkörper. Denn der Körper gehört uns nicht, hat seinen eigenen Lauf und unterliegt dem Hinfälligkeitsgesetz. Auch die menschliche Begegnungen ebenfalls. Den ungetätigten Anfang folgt oft bereits der Abschied. Man kann viele Dinge nicht mit Willen erzwingen. Vielleicht ist meine Äußerung ein wenig traurig, aber es ist wahr.
    Auf den Weg des Tees werden wir uns wieder begegnen und hoffentlich mit vielen Veränderungen.

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  5. Robert

    „Denn der Körper gehört uns nicht, hat seinen eigenen Lauf und unterliegt dem Hinfälligkeitsgesetz.“

    Das ist auch meine Sicht. Dazu fällt mir eine Zeile aus einem Song von Neil Young ein, von seinem letzten Album glaube ich:

    „This old guitar aint‘ mine to keep
    it’s just mine to play for a while.“

    Er besitzt eine Gitarre, die früher Hank Williams gehört hatte, einem seiner musikalischen Vorbilder. Diese ist hier vordergründig gemeint. Jedenfalls wurde mir schon beim ersten Hören bewusst, dass er wohl vom menschlichen Körper singt.

    Liebe Grüße,
    Robert

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