Der Tee, der meine Geschmacklosigkeit ein Ende setzte, war ausgerechnet der einfache Sijichun. Sijichun, ein gewöhnlicher einfacher Formosa Oolong, der wegen seinem Duft eine Popularität erreicht. Eigentlich ein Blendwerk, das Konsumenten mit Düfte betört, aber uninteressant bleibt. Wie kann man aus so einem Baum, dessen Natur ein Blendwerk ist, zu einem interessanten Tee verwandeln? Eine Schönheit allein reicht nicht, um eine Persönlichkeit zu sein. Ich trank den Tee, der seit einer Woche bei mir lag und auf Degustation wartet, um weiter verschickt zu werden. Der Duft ist typisch, aber dezent und langhaltig. Der Aufguss lieblich, zurückhaltend aber voll präsent. Kein Wunder, ein Tee von dem alten Chen aus Mingjian. Einfach und perfekt zugleich. Er sagte mir einmal, die Leute haben gerne den Sijichun. Er ist schön, aber zu zentriert auf das Äußere. Man muss ihn in der niedrigeren Temperatur länger und stärker fermentieren lassen, so dass der Duft im Hintergrund zurückgesetzt wird und der Geschmack reichlicher wird. Der gewöhnliche Sijichun auf dem Markt, ist kurzer fermentiert, um dem Marktgeschmack gerecht zu werden, während sein Geschmack zusammenziehend und grob bleibt – was man allerdings mit Gongfu Methode korrigieren könnte. Aber ein Teebauer, wie er, verweigert dem Trend zu folgen. Er hat ein einfaches Bild, ein unspektakuläres Ideal, wie er mit seiner Arbeit umgeht. Die Art, wie wir mit unserer Arbeit umgehen, ist oft die Art, wie wir mit uns selbst umgehen.
An jenem Frühlingsnachmittag in seinem Hof hockten wir zusammen unter einem Mandarinen-Baum. „Lin San“ er bevorzugte die altmodische japanische Anrede „ ich war noch nie im Ausland wie Du. Ich habe mein Leben dem Teegarten gewidmet. Du hast ein schönes Leben, während meins nur mit dem Teepflanzen und Erde zu tun hat.“ Er lächelte mit seinen goldenen Zähnen und leicht schüchtern vor einem Stadtmädchen. Ich weiß nicht, ob andere Leute sich auch von seinen einfach Sätze so berührend lassen. Ich weinte innerlich in diesem Moment. Natürlich habe ich eine andere Lebensführung und wäre nie glücklich nur in einem Teegarten zu leben. Ich hätte mein Leben „nie“ nur für eine Sache wie Tee verschwendet und geopfert. Seine Zweifellosigkeit, Insistieren und Naivität machten mir jedoch deutlich, was in unserer Welt immer mehr verloren geht.
Ich schickte den Tee gestern gleich in die Innerschweiz. Heute noch vor neun bekam ich einen guten Auftrag. Der Käufer versteht, was er bekommt, ohne ich etwas dazu sagen musste. Das ist das schönste Moment in Business. Der Käufer und der Verkäufer treffen sich zu einer Wahl, die für sich spricht, ohne Wörter. Dieses Vertrauen und der Vorgang sind unauffällig, sind allerdings konstruiert auf einer Basis von einem tiefen Urteilsvermögen und Vertrauen in das Handwerk. Das Handwerk, was der alte Mann in Südtaiwan insistiert und pflegt, geht über die kulturelle Grenze hinweg und wird wortlos von fremden Menschen bewundert, die ihre Arbeit ebenfalls als ein Kunstwerk insistieren und verklären. Ein guter Handwerker braucht gute Käufer, die ihn schätzen und vor dem marktwirtschaftlichen Untergang bewahrt. Und das hat mit dem sprachlichen und kulturellen Selbstständnis nichts zu tun.
Den besten Tee zu produzieren, braucht der Teebauer dreifache oder vierfache Mühe, die möglicherweise nur 5% Ergebnis befruchtet. Wie würde ein Teebauer seufzen, wenn seine Ernte zwangsläufig an einem regnerischen Tag geerntet wird und seine Mühe vergeblich bleibt? Und um diesen 5% Unterschied zu anerkennen und zu bewundern, braucht ein Teeliebhaber eine Reife und ein empfindsames Einfühlungsvermögen. Wer würde gegen Geld und den Markt arbeiten, wenn man nicht an einem Ideal beharrt? Die Kunst eines Handwerks ist hinfällig, vergänglich und zerbrechlich. Sie zu bewahren ist nur heute lediglich auf die Naivität, Kompromisslosigkeit oder Sturheit eines einfachen Teebauers zu stützen. Die Lage ist prikär.
Mingjian 名間, 400 M. ü. M. Foto aus http://nantou.mmmtravel.com.tw/i
Er zeigte mir auch den Baum, den er gerne nach seinem Tod noch begleiten würde. Ein Shuixian-Baum, den sein Bruder aus China schmuggelte. Seine Frau sagte mir, dass er in ersten zehn Jahre nur geweint hat, als er versuchte, den Shuixian zu produzieren. Er weinte und kippte alles weg. Sie sagte, er sei ein Egoist, weil sein Leben sich nur um Tee dreht. „Er geht mit Dir bestimmt auch so um wie mit Tee, oder?“ Er lächelte ruhig und schaute zu seiner Frau. Sie verstand zuerst nicht, was ich meinte. Ich verstand ihn sehr gut. Wenn man für die innere Stimme lebt, die in der Außenwelt immer mehr fremd wird, wird man automatisch schräg und einsam, sogar für manche aggressiv. Es ist ein Widerstand gegen das, was alles egal und gleichgültig macht.
Diesen Shuixian Dan Cong degustierte ich im Januar im Münchener Seminar, Jahrgang 2005. Der Tee hat viele Aufrufzeichen in Augen der Anwesenden ausgelöst. Das Mantra, was Alibaba einst zu der unerwarteten Schatzwelt sagte, „ Sesam öffnet Dich“ ist nichts anders als das Verständnis für das, was eine Tradition hinter einem Handwerk versteckt; was den alte Chen in Mingjian zu einem Egoist macht; und was uns ermöglicht, über die kulturellen Grenze hinweg den gemeinsamen Geschmack treffen zu können!
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