Archiv für den Tag 27/11/2007

Tee und Kindererziehung

Liebe Menglin,

Ich hatte heute einen interessanten Gedanken beim Teetrinken. Wir haben ja im Kurs sehr viele Proben kosten dürfen. Darunter auch einige, die nicht besonders gut geschmeckt haben. Dieser Geschmackseindruck hatte sich eigentlich auch schon optisch vorausgekündigt. Die zwei Teesorten, die ich mitgebracht hatte, brauchtest du z.B. noch nicht einmal aufzubrühen. Allein schon das Aussehen der Blätter hat gereicht um zu wissen, ob sie die Behandlung erfahren haben um etwas Besonderes zu werden und um dem Teeliebhaber Freude zu bereiten.

Was mich auch fasziniert ist die Tatsache, dass im Prinzip von ein und demselben Teebaum, Tee von ganz unterschiedlicher Güte gewonnen werden kann. Das erinnert mich irgendwie an Menschen. Wenn man mal von den genetischen Unterschieden absieht, verhält es sich doch sehr ähnlich. Die Art und Weise wie man ein Kind von klein auf behandelt, ob man ihm Liebe schenkt und sinnvoll fördert, auf seine speziellen Bedürfnisse eingeht, erkennt welches Potenzial in ihm steckt also die richtigen Bedingungen schafft, damit etwas Besonderes entstehen kann sind für seine Entwicklung unverkennbare Faktoren. Schau dir doch die Menschen ringsherum an. Manchen ist ihr Unglück doch förmlich ins Gesicht geschrieben. Man sieht fast (ohne sie zu schmecken, ohne mit ihnen zu sprechen) an ihrem Aussehen, in welcher seelischer Verfassung sie sich befinden und welche grausame Behandlung sie erfahren haben. Wie beim Tee eben. Natürlich braucht es schon etwas an Sensibilität und Erfahrung um so fein sehen (schmecken) zu können. Könnte uns der Tee vielleicht dabei helfen so feine und sensible Menschen zu werden? Acht zu geben, wie wir mit allem was uns umgibt umgehen? Ich denke viele Probleme der heutigen Gesellschaft wären einfach behoben, wenn doch die Menschen die Behandlung erfahren würden, die sie brauchten, damit sie sich so entwickeln könnten, wie ein ganz besonderer Tee eben. Nicht nur äußerlich, sondern in allen Belangen, die einen Menschen erst zum Menschen machen. Zu „Besseren Menschen“ halt.

Naja genug philosophiert für heute 🙂

Viele Grüsse
Cenk

Lieber Cenk, das Praxis des Tees vermittelt uns eben diese Fähigkeiten zu entwickeln Grenze zu überschreiten: sehen ohne zu sehen; hören ohne zu hören; denken ohne zu denken. Wir werden alle frei von der Einschränkung der fassbaren Sinne und nehmen Dinge wahr, was vordergründlich nicht fassbar und messbar erscheint.

In der chinesischen Kultur existiert ein Ideal, anstatt Jemanden zu werden, sich selbst zu werden. „Tian Sheng wo cai bi you yong.“ – jeder Mensch hat nach seinem Geburt einen Platz in diesem Kosmos. Wenn jedes Kind nicht zu irgendjemanden erzwungen werden muss, wird unsere Welt friedlicher. Ich hasste solche Frage, wenn ich als Kind gefragt wurde, „Menglin, was willst Du werden?“ Ich antwortete immer „Die Präsidentin!“ Diese Antwort aus dem Mund eines Mädchens schockte oft Erwachsene – das wollte ich wohl auch. Nun antwortete ich auf die Frage, wenn eine Frau/Mann mich fragt, „Menglin, willst Du nicht ein Kind?“ „Ich bin unfruchtbar.“

Du hättest keinen Informatiker werden sollen, sondern ein Philosoph, der allerdings viel weniger verdient. Also bleib so wie Du bist.

Gute Nacht!

Menglin

Der Geist des Tees

Der Geist des Tees

Liebe Menglin,

vielen Dank für das tolle Seminar und die Übernachtungsmöglichkeit. Der Abend bei dir war mindestens genauso schön wie das Seminar. Ich habe vorhin etwas in deinem Blog gelesen, auch in den älteren Beiträgen, und kann mit den Begriffen endlich etwas anfangen. Ich werde versuchen die Bezeichnungen der Teesorten zu lernen. Es muss ja nicht von heute auf morgen sein. Einfach aus Neugierde und weil nun ein Bezug dazu vorhanden ist. „Schneeflocken Oolong“ ? – jaaa kenne ich 🙂 Ich glaube, wenn man anfängt ein wenig zu verstehen wird der Reiz immer größer mehr herauszufinden. Danke, dass du mir (uns) diese Gelegenheit gegeben hast und gibst. Es ist wie mit dem Feinstaub (in München ein wichtiges Thema, weil die Belastung groß ist“. Was die wenigsten wissen ist, dass ohne Feinstaub kein Leben stattfinden könnte. Ohne Feinstaub gäbe es keine Wolken, weil die Wassermoleküle etwas benötigen um das sie sich herum anordnen können. Im übertragenen Sinne habe ich nun Feinstaub geatmet und bin gespannt was sich drum herum bilden wird und freue mich auf die Entwicklung.

Sich mit Teesorten und Qualitäten auszukennen ist sicher nur ein Aspekt. Ein anderer Aspekt, sich selbst kennenzulernen und zu reflektieren hat mir ebenfalls sehr imponiert. So hatte ich es noch nicht gesehen, zumindest nicht bewußt. Die Demonstration, wie ich die Teekanne auf den Tisch gestellt habe war sehr einprägsam. Es geht nicht einfach nur darum etwas dahinzulegen. Nein, die Art und Weise wie es gemacht wird sagt anscheindend etwas über die Person und ihre Haltung gegenüber anderen Anwesenden aus. „Leise und unauffällig“, damit man sein Ego nicht in den Vordergrund stellt.

Es gibt noch viele Eindrücke, aber ich denke deine Geduld genug strapaziert zu haben. Ein letzter Kommentar noch zu der Gruppe. Sie waren einfach alle herzenslieb!

Herzliche Grüsse aus München
Cenk

Was für einen Sprung muss jemand wagen, aus einer völlig fremden Kultur zuerst auf eine fremde Gesellschaft wie die deutsche einzulassen und weiter in eine anderen einzutauchen? Was für einen Unterfangen könnte es bedeuten, diesen Schritt zu versuchen?

Ich kannte Cenk nicht, bevor ich irgendwann im Frühjahr ein Email von ihm erhielt. Er lobte das Tee Erleben Blog. Dann schrieb er mir wieder Emails, um endlich ein Teeseminar-Termin von mir zu bekommen. Er sagte, er würde den Termin sehr gerne freihalten, wenn er früher wissen könnte. Ich dachte zuerst, „Ach aus München? Wer macht sich diese Mühe wegen Tee?“ Da er hartnäckig daran blieb, habe ich endlich Termine festgelegt. Also er war der Geburtshelfer der vergangenen Veranstaltungen.

Innerhalb drei Stunde, die normalerweise kaum eine Rolle im Leben spielt, könnte etwas passieren, um das Leben in einer ganz anderen Richtung zu bringen. Er entdeckte plötzlich einen Weg, der zur Selbstbefreiung führt. Selbstbefreiung, wenn man sich selbst sein kann, das schreiende Ego beobacht und sich dabei nicht mehr bewegt - man kann sein Ego sehen und ihm nicht mehr befolgen muss. Dieser Wechselprozess von Sehen und Gesehen werden, begegnen wir immer wieder im Praxis des Tees. Wir könnten das Ego des anderen im Alltag sehr gut beobachten, während wir im Tee permanent das eigene sieht. Leise und unauffällig, Menschen eine Schale Tee zu servieren, ist für mich das Wichtigste, das ich im Praxis des Tee lernte und meine Leben grundlegend veränderte!

Mich hat das Email sehr berührt. Mit paar Sätze fasste Cenk den Geist des Tees zusammen, innerhalb drei Stunde berüht er den Geist des Tees. Ich freue mich sehr, dieses Moment dabei sein zu können!

Foto: von links: Carola, Cenk, Antje, Menglin, Madleine, Anja am Gongfu Cha üben.