Ich bin neben einem Tempel aufgewachsen. Der Tempel war der erste Bildungsort meines Lebens. Zu jedem Geburtstag der Göttin Masu oder Himmelsgott Tiangong wird auf dem Tempelplatz das Theater gesungen. Meine Großmutter sass immer auf der ersten Reihe. Sie trug immer Qipao (sie trug nie westliche Kleidung), hatte einen Fächer in ihrer Hand und quatschte mit den anderen Omis, während ich unter dem Bühne meine Wurste grillierte. Wenn es lauter wurde, rannte ich aus und staunte über den unvergesslichen Gesang und die Poesie einer uralten Liebe. Gerne spielte ich auch nach an nächsten Tag in dem Klassenzimmer. Meine Mutter zog ihr Gesicht zusammen, wenn sie es von meiner Lehrerin erfuhr. Solches typisches taiwanisches Theater ist low class.
Diesmal mit meiner Reisegruppe möchte ich gerne mit einem Besuch vom Tempel anfangen. Taiwaner Tempel ist ein Ort der Bildung einer Seele, nicht eine Bildung für die Schrift. Immer wieder wird dort Zeremonie abgehalten, wenn jemand sich unwohl und krank fühlt. Dort wird er eine Reinigung für seine Seele finden. Seine Seele wurde irgendwo aufgehalten, wegen einem Schreck oder Schock – so glaubt man, sie kann durch solchen Ruf der Zeremonie wieder zu dem Körper zurückkehren. Die Löwen, die vor der Tempelschwelle stehen, die Orakel die man dort befragen darf und die Figuren, die auf den Dächer Menschen beobachten erzählen die alten Geschichten und stiften Identität den Bewohner einer immer urbanisierten Stadt. Immer werden gleiche Geschichte in jedem Tempel erzählt, gleiche Feste jährlich gefeiert und das Essen steht immer im Vordergrund. Der Tempel ist der authentische Ort und das Tor zu Menschen auf der Strasse, wenn man Taiwan und seine Menschen verstehen will.
Meine Großmutter rannte zum Priester, wenn wir, Kinder krank wurden. Ich trank dann das Wasser mit dem Aschen von einem Papier, wo er seine Mantra schrieb. Das Papier wurde bezaubert und besaß somit Heilkraft. Meine Mutter war immer wütend auf solche Handlung ihrer Schwiegermutter. Ich sah den Konflikt unverständlich zu und kann mich auch nicht erinnern, wie das Aschen-Wasser wirkte. Trotzdem praktizierte meine Mutter die gleichen Rituale, wenn Feste kamen. Sie lehrte uns, was für Opfergabe wir für diesen oder jenen Gott vorbereiten müssen. Meine Schwester übernimmt heute diese Aufgabe und versuchte es alles zu vereinfachen. Es sind immer Frauen, die in jedem Haus diese Rituale weiter fortführen.
Im Tempel lerne ich auch eine Ordnung zwischen Himmel und Erde zu ahnen. Meine Großmutter war involviert, wenn es Feste gab. Und ich rannte auch gerne hinter ihr her mit. Es war lange her und ich war wahrscheinlich sieben. Es war Lampion Fest. Ich liebte die kitschigen Farben, die alte Taiwaner mögen. Die Fähnchen und Lampion wehten im Winde. Das Feuer loderte. Das Räucherwerk duftete. Alle kamen. Die Armen bekamen Reis. Die Anderen brachten Güter. Kinder rannten hin und her. Die Priester rezitierten in der Halle, während meine Großmutter und ihre Leute klatschten. Als alles vorbei war, die farbigen Fähnchen und Lampion wurden gerissen und zur Seite auf dem Boden gekehrt. Ich schrie und wollte für mich welche retten, „Moai La!- Nein!“ Meine Grossmutter schnappte mein Ohr und sagte, „Es ist halt so!“ Wieso ist es halt so? Warum kann man die Schönheit nicht aufhalten?
Als der Sarg meiner Großmutter Jahre später ins Wagen abgestellt wurde und als der Wagen begann zu rollen, mussten alle schweigen. Ich dufte nicht weinen. Denn das Weinen die Großmutter aufhält. Das Leben ist wertvoll. Der Tod ist voller Trauer. Vor dem Leben und Tod wird Respekt in einer Art von Schweigen zum Ausdruck gebracht. „Es ist halt so.“ sagte sie mir einmal. Es ist eine kosmische Ordnung von Entstehen und Vergehen. Der Abschied braucht eine Leere, Leere von Farbe und Licht. Es ist wie die alte chinesische Malerei von Song-Dynastie. Ein Hauch von Ahnung in Grau-Blau.
Vor der Lichtstrahl sind die Farben nicht satt. Wenn die Farben blass sind, sehen wir vielleicht das, was hinter den Phänomen verborgen ist! Wenn die Sonne die Farbe zum Leben wieder bringt, werden Gedanke erweckt. Wir werden wieder gefangen in der Buntheit vom Licht und Schatten.