Archiv für den Tag 13/10/2024

Notizen zu 15. Jubiläumstee von Shui Tang

Fallen. Und du wirst vom Universum festgehalten!

Als die neuen Puer Lieferung eintraf, steht die Jahreszeit gerade im Wandel: noch paar schöne warme Tage, und dann bringen Regen und Wind auf einen Schlag alles zu Fall. Der schöne Tee aus Yibang und Yiwu überraschen mich mit dieser ausgezeichneten Ernte. Intensiver und aromatischer. Es liegt vielleicht an den Fortschritten des Produzenten und auch amWetter, auch wenn viele andere Gebiete unter Regenmangel litten. 

Der Herbst ist oft ein Synonym von Wandel. Tatsächlich spürte ich einen Wandel in mir als das 15. Jubiläum bewusstwurde. Wohin und wie weiter? Was für Spuren sind bereits hinterlassen? Woher bekomme ich die schöpferische Kraft für den weiteren Weg in den gebundenen Alltag? Gleichzeitig geschehen und geschahen unglaubliche Kriege und leidvolle Entwicklungen in der Aussenwelt. Fallen. Alles fällt.

Das Leben ist ein Mysterium. Ein Mysterium, weil oft die Widersprüche und Gegensätze zwischen Ego und dem Selbst; zwischen aussen und ihnen sich versöhnen oder Auswegegefunden werden müssen. Schöpferisch mit all den Fragen umzugehen ist der Pfad. Aber woher kommt die schöpferische Kraft? Wie kann man das Fallen und das Reifen als eins sehen? Wo ist der Ort, wenn Licht und die Dunkelheit sich treffen? Besteht es nicht eine alte Feindschaft zwischen dem Leben und der grossen Arbeit? (Rilke Requiem 1908) 

Der Dichter Rilke hat uns viele Vorschläge gemacht. In zwei Gedichten «Herbst» hat er uns von der wandelnden Welt erzählt, uns gleichzeitig darauf hingewiesen, dass die Natur und das Universum das einzig Beständige bleiben. Die Beständigkeit ist das Unbeständige im Leben. Das zu erkennen verbindet uns wieder mit dem Unendlichen und wir werden wieder eins mit Allem. 

In einem anderen Gedicht «Lied» schrieb Rilke, «Auch, in den Armen hab ich sie alle verloren, du nur, du wirst immer wieder geboren: weil ich niemals dich anhielt, halte ich dich fest.» (aus den «Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge».) 
Liebe verbindet uns mit uns selbst, mit anderen Menschen und mit der Welt. Ohne festzuhalten, weil wir die Verbindung unendlich leben, und uns über das selbstbestimmte Leben des Geliebten freuen. Wenn die Liebe gleichzeitig süss schmeckt und Trennung herb adstringiert, dann schmeckt das Leben tatsächlich wie der Tee: süss, herb und facettenreich. Je tiefer wir unsere innere Verbindung zur Welt erforschen und uns auf die Liebe einlassen, desto vielschichtiger wird der innere Diamant geschliffen und scheinen. Bevor der Diamant fertig geschliffen ist, und bevor die Quelle von schöpferischer Kraft integriert wird, brauchen wir alle Unterstützung, wenn der Tag dunkler wird. Die Hilfe kann der Tee, kann die Poesie und die Musik sein. Das Süsse des Tees ist wie die feste Umarmung von Rilkes Sprache: ich halte Dich ganz fest, ohne Dich auf Deinen Weg anzuhalten! 

Und die alte Feindschaft zwischen den zu organisierenden Alltag und dem Werk des Lebens ist die treibende Kraft zur Bewusstseinsmutation!

Meng-Lin Chou, Herbst 2024