Dank Joseph kann ich hier mit Euch den wunderbaren Artikel über den Besuch von Yu in Zürich teilen.
IN ZÜRICH GETROFFEN
Die Wärme der Erde trinken
Der taiwanische Teemeister Jinsong Yu lüftet das Geheimnis des Pu-Erh-Tees
Pu Erh gilt im Westen als Heilmittel oder Schlankmacher. Was es mit dem traditionellen Tee aus Yunnan auf sich hat und warum er in China und Taiwan geschätzt wird wie bei uns Jahrgangsweine, erklärt bei einem Treffen in Zürich der Meister Jinsong Yu.
Philipp Meier
Jingsong Yu ist kein Mann der vielen Worte. Er ist, was man in China einen «Cha Ren» nennt: ein richtiger und aufrichtiger Teemensch. Am liebsten lässt er den Tee für sich sprechen. Zur Einstimmung für unser Gespräch im Teeladen Shui Tang an der Zürcher Spiegelgasse bereitet er einen Pu-Erh-Tee zu, der aus einem Dorf in den Bergen der Provinz Yunnan stammt, das nur über einen vierstündigen Fussmarsch vom Nachbarort aus erreichbar ist. Die Teeblätter stammen von Bäumen, die gut 400 bis 500 Jahre alt sind. Der Duft ist belebend, der Geschmack hat eine etwas ungewohnte Note, die an feuchte Erde erinnert. Wir trinken nun Tee in einer Art, wie sie in China schon im 11. Jahrhundert gepflegt wurde. Die Tradition des Pu Erh ist uralt.
Zürcher Wasser
Wie sich der kostbare Tee mit dem Zürcher Wasser vertrage, möchten wir als Erstes wissen. Der Mittvierziger meint dazu, es sei etwas mineralhaltiger als jenes in seiner Heimat in Taiwan, was den Tee gehaltvoller mache. Ob es denn nicht zu hart sei für einen so edlen Tee, haken wir nach, und Meister Yu bestätigt, dass weiches Wasser das Geschmacksspektrum am besten unterstütze, das Zürcher Wasser aber keinesfalls zu hart sei dafür.
Seit Anfang der neunziger Jahre erforscht Yu den Pu-Erh-Tee an seinem Ursprungsort in Yunnan, wohin er jedes Jahr zur Ernte und Verarbeitung jener Tees anreist, die er selber in Taiwan weitervermittelt. In den Bann des Tees geschlagen wurde der Quereinsteiger, der klassische chinesische Künste wie Kalligrafie und Malerei studiert hat, als er zum ersten Mal ein altes Teekännchen aus den berühmten Werkstätten von Yixing in die Hände bekommen hatte. Auf seiner Reise an den Entstehungsort dieser feinen chinesischen Teekeramik hatte er während eines Zwischenhalts in Hongkong ein zweites Schlüsselerlebnis, als ihm eine Tasse sechzig Jahre alten Pu-Erh-Tees gereicht wurde. Er war, wie er sich erinnert, berauscht von diesem Tee und reiste bald auch nach Yunnan.
Staatlich definierter Tee
Yu ist heute nicht nur ein Kenner der Teezubereitung und der dafür verwendeten Utensilien, sondern er weiss dem Laien auch genauestens zu erläutern, was es mit dem Kult um den Pu-Erh-Tee auf sich hat. Genauer gesagt: Er lässt es den «Novizen» selber ein Stück weit erfahren – Schluck für Schluck. Während er in kleinen Keramikgefässen immer wieder Tee aufgiesst, hält er ein paar Fakten fest. Pu Erh ist heute so populär geworden, dass eine staatliche Verordnung dessen Definition festlegte: Erstens muss er aus der Provinz Yunnan und zweitens von der grossblättrigen Varietät des Teebaums stammen.
Für Yu kommen indes noch drei weitere Kriterien hinzu, die einen guten Pu Erh ausmachen. Der meiste Pu Erh auf dem Markt, den man als Tourist von einer Chinareise als «Heilmittel» oder «Schlankmacher» nach Hause bringt, kommt von Plantagen (Taidi). Ob in traditionell gepresster oder in loser Form, für Yu muss ein guter Pu Erh aber von alten Bäumen in einer noch intakten Biosphäre stammen (Gushu). Hinzu kommt traditionelles Handwerk, das auf all die heute verbreiteten Prozesse der Ertragssteigerung und Beschleunigung der Verarbeitung verzichtet. Und ein guter Pu Erh muss, sofern er gelagert wird, einer langsamen Trockenlagerung unterzogen werden und nicht dem schnelleren feuchten Verfahren.
Trinkbare Antiquität
Denn Pu-Erh-Tee kann gut gelagert werden, zum Teil über Jahrzehnte. Das ist das Besondere an diesem Tee. Und hier beginnen die Halbwahrheiten und Missverständnisse, die Spekulationen, die auch Jahrgangs-Pu-Erh längst zum Spekulationsobjekt gemacht haben. Warum man diesen Tee altern lasse, ist die Schlüsselfrage. Und die Antwort kommt von Herrn Yu direkt und unverblümt: Geld und Profit – ein Pu Erh wird mit dem Alter wertvoller.
Ob er durch die Lagerung aber auch besser werde, wollen wir wissen, während wir nun einen 80 Jahre alten Tee zu trinken bekommen, der dunkel ist wie Cognac und einen kräftigen Geschmack nach Erde hat. Besser nur insofern, erklärt Yu, als die Chinesen dies mögen. In China hegt man nun einmal eine Vorliebe für alte Dinge. Ein junger Tee mit seiner floralen Note sei zwar reizvoll. Trete die Frische aber in den Hintergrund durch den Alterungsprozess, erhalte der Tee eine Geschmacksrichtung, die von Chinesen wie ein nachhaltiges Echo auf ferne Zeiten empfunden werde. Bei einem alten Pu Erh handelt es sich gewissermassen um eine trinkbare Antiquität, um einen Tee mit Patina gleichsam, führt Yu aus und sieht darin durchaus Parallelen zum Jahrgangwein, um welchen ja ebenfalls ein regelrechter Kult betrieben werde.
Beim Trinken eines alten Pu Erh schmecke man den Zerfall des Tees, schildert nun Yu fast schon schwärmerisch. Der Zerfall werde in China zelebriert wie das Leben selber, das ja im Grunde nichts anderes sei. Fühle er sich im Innern unruhig und instabil, verlange ihn nach einem gereiften Pu Erh. Der Geruch von Erde gebe ihm Halt und trage ihn, tröste ihn, sagt Yu. Es sei dieser irgendwie medizinische Geruch, der ihm Heilung bringe.
Daher also all die Missverständnisse im Westen, wonach Pu Erh wie Medizin wirken soll. Gesundheitsinstitute konnten dafür zwar keinen wissenschaftlichen Nachweis erbringen. Wir verstehen nun aber, während das Trinken eine zunehmend beruhigende und zugleich anregende Wirkung auf uns ausübt: Die Wahrheit des Pu Erh liegt auf einer symbolischen Ebene. Der Tee erdet einen, denken wir. Zum Schluss erläutert uns Yu den Namen seines Teegeschäfts in Taiwan: «Klause unter Kiefern und Wolken» – dort bedürfe es bei einer Tasse Tee keiner Worte mehr. Wir erwidern dieses schöne Bild mit einem aus der abendländischen Kultur: Aus Erde sind wir genommen, zu Erde sollen wir wieder werden. Yu gefällt dieses Sinnbild, und er gibt uns das Gefühl, durchaus etwas von der wahren Essenz des Pu Erh erfasst zu haben.