Wer bin ich

Manche Klienten kommen und verlangen nach dem besten Tees meiner Kollektion. Diese Aufforderung verwirrt mich sehr häufig und ich habe oft das Gefühl, mit einem Schein umgehen zu müssen.

Im Winter kam Markus mit einem seinen interessanten Freunden zu Shui Tang. Dieser Herr aus guter Gesellschaft verriet mir nichts über sein „Haben“. Und es geht mir so oder so nichts an. Als ein Schauspieler gleichzeitig kam und sie sich gegenseitig vorstellten, sagte der Schauspieler: “ Ich bin ein Schauspieler.“ Er erwiderte ihm „ich bin ich.“ Ich fand es richtig amüsant. Er sagte mir wiederholt „Ich will nicht mehr haben. Sondern einfach sein!“ Der Spruch war nervig und gleichzeitig gefiel mir.

Am Montag war ich bei meinen neuen Hausarzt. Und wie das Theater beim Arztbesuch verläuft, muss ich einen Fragbogen ausfüllen und meinen Beruf verraten. Ich schrieb: VERKAEUFERIN.

Im Lauf des Interviews stellte der Arzt fest, dass ich sogar Universitätsabschluss habe. Ich dachte, dass man es bei meine Sprache merkt. Jedenfalls, er fragte mich, weshalb ich Verkäuferin wurde! Ich lachte. „Was ist daran so schlimm, Verkäuferin zu sein?“ Er meinte, das wäre doch ein Problem unseres Bildungssystems, wenn ich am Ende eine Verkäuferin bin. Das stimmt. Das ist aber nur ein Problem von vielen unserer Gesellschaft. Aber eine Verkäuferin zu sein ist wirklich in Ordnung für mich. Ich bin es ja. Ich verkaufe Tee in Shui Tang.

In letztem August war ich bei einer Aerztin. Es ging wieder gleich los. Damals schrieb ich zu meinem Beruf „Teefachfrau“. Meine Aerztin konnte sich nicht verkneifen und musste so laut lachen, als sie es las. „Gibt es so etwas?“ Ich schwieg. Mein Beruf hat kein Problem, aber diese Frau hat ein Problem. Ich wechsele meinen Arzt.

Was bin ich?
Was ich wirklich bin, hat es so wie so nichts mit meinem Beruf zu tun.
Manche Menschen brauchen einen Beruf, um sich besser zu fühlen.
Manche machen einen Beruf, um Geld zu verdienen, deswegen brauchen sie viel viel Freizeit.
„Wer bin ich und was bin ich“ geht es ausser mir niemanden etwas an.

Als Shui Tang entstanden war, sagte eine Freundin zu mir: „Dein Selbstwertgefühl ist nun besser geworden, oder?“ Ich staunte über diese Aussage. Nein, umgekehrt. Mein Selbstwertgefühl war gut genug, so dass so ein Projekt wie Shui Tang angepackt werden kann!
Und für mich, ist mein Leben so oder so schön genug.

Nächstes Mal werde ich einfach zu dem Beruf „Soziologin“ schreiben. Eine sehr klare Aussage über etwas, was man nichts damit anfangen kann.

6 Gedanken zu „Wer bin ich

  1. miriam

    Meng-Lin

    ich finde deinen Beitrag amüsant! Du könntest auch Verhaltensforscherin sein. So wie sich die Leute benehmen!

    Herzlich, Miriam

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  2. Menglin

    Ich wollte früher Völkerkunde studieren, denn ich wollte Menschen gerne besser verstehen. Nun stehe ich in Shui Tang, lerne tatsächlich Menschen besser kennen – auch mich selbst.

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  3. Tom

    Guten Morgen Menglin,

    Danke für diesen Beitrag. Erich Fromm schrieb vor über 40 Jahren in diesem Zusammenhang vom „Marketingcharakter“. D. h. der Schein ist wichtiger als das Sein, man richtet sein Tun und sein Haben danach aus, wie es auf andere am besten wirkt. Früher haben die Leute dazu auch Marionette gesagt – welche sich ja bekanntlich gut steuern lassen und keinen eigenen Willen haben.

    Viele Grüße aus Tübingen

    Tom

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  4. Marc

    Sagt Dir der Begriff der Rolldifferenzierung etwas? Tolles Thema. Jetzt ich ich z.B. ein Kommentarschreiber, gleichzeitig auch Koch.

    Nach bin ich mal wieder Sohn!

    Viele Grüße aus Bremen

    Marc

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  5. Menglin

    Ich meine hier nicht mit der Inszenierung der Rolle.
    Es geht hier um das, was Du von dir selbst verstehst. Nicht das, was Du meinst, was Du bist oder seist oder was Du gerne sein möchtest.

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