Suche nach dem verlorenen Duft

Was macht ein Mensch, wenn er nicht riechen und schmecken kann? Er isst nur noch Instanz-Nudel, weil er sich auf das Design-Food verlassen kann, weil er selbst nicht entscheiden kann, was ihm gut tut. Er kapselt sich ab in einem Cocon, weil er andere Menschen nicht riechen kann. Er spürt und fühlt nicht, weil es Gerüche fehlen, seinen Lebensgeist und Brücke zur Vergangenheit erfrischen. Er flieht ins Elfenbeinsturm, wo er sich am liebst wohl fühlt. Die Flucht ins Imaginäre hilft bei der Suche nach dem verlorenem Duft, der sein Lebensgefühl und Lebenslust wieder erwecken kann.

Ein verschlossener Garten ist meine Schwester Braut,
…….
Granatbäume mit köstlichen Früchten,
Hennadolden, Nardenblüten,
Narde, Krokus, Gewürzrohr und Zimt,
alle Weihnrauchbäume
Myrrhe und Aloe,
Allerbester Balsam.
Die Quelle des Gartens bist Du,
ein Brunnen lebendigen Wassers,
Wasser vom Libanon.

Das Hohelied

 

Das bald 3000 Jahre alte Hohelied war die Liebesbeweis vom König Solomo an seine Geliebte Schulamith. Christlich ausgelegt versinnlicht das Lied die Vereinigung zwischen Christus und der Kirche. Dem Wort laut nach besingt das Lied die Sehnsucht, Wünsche und Hoffnungen zweier Liebenden, die sich suchen, fliehen und vereinigen. Die sinnlich gegenstandsbezogenen Bilder sprechen unsere Augen, Ohren und Geschmacks- und Geruchssinn unaufhörlich an. Auch Homer verwenden die Düfte als Kommunikationsmittel der Menschen mit den Göttern, indem er in Odyssee beschrieb, wie Proteus, der Meeresgott, der zwischen ungeheuerem Gestank der Robben lebte, mit Wohlgerüchen und unsichtbaren Kräfte von Aromata von seinen Feinde festgehalten und überlistet wurden (Odyssee 4, 384-461). Die magischen Kräfte der Düfte waren schon immer der Ausdrucksmittel und Symbol zwischen den Menschen untereinander und die Sprache zu der unsichtbaren Welt.

Dass Düfte oder Geschmäcke nicht nur Ausdrucksmittel war, sondern auch ein Brücke zwischen uns und der unsichtbaren vergessenen Welt, finden wir das Beste Bespiel in dem Proust-Syndrom von Madeleine in Lindenblütentee:

„Ein köstliches Vergnügen bemächtigte sich meiner, doch es war losgelöst, ohne Hinweise auf seinen Ursprung… Woher stammt dieses übermächtige Glücksgefühl? Ich fühlte, dass es mit dem Geschmack des Tees und des Gebäcks zusammenhing, aber weit drüber hinausging….“

Durch einen Duft zwischen der Madeleine in Lindenblütetee wurde emotionalgeladenen und lebhaften Erinnerung von Proust vergegenwärtigt. Das berühmte Phänomen belegt nur, dass Düfte der besten Brücke zwischen uns und unserer verstauten Erinnerung dienen. Erinnerungen haben nicht nur faktische Informationen, sondern auch Gefühlskomponente. Die Menschen verbinden Erinnerungen für gewöhnlich mit einer Empfindung. Dass durch Gerüche Gefühle und plötzliche Vergegenwärtigung der Glücksgefühl oder einer Illusion uns in eine andere Welt versetzen zu können, zeigt uns, dass Gerüche Erinnerungen von außergewöhnlicher Intensität der Sentimentalen auslösen könnten. Andererseits widerspiegelt uns das Proust-Syndrom, dass unsere emotionale Verbindung eng mit den Gerüche, Gefühle und Erinnerungen in Gehirn verknüpft sind.

Könnten Düfte Erinnerungen hervorrufen, dessen Zugriff für immer verloren wären? „ Je ungewöhnlicher der Duft, desto eher wird er mit einem einzelnen Ereignis verknüpft.“ (R.S. Herz, Duft und Erinnerungsforscher) Die Einzigartigkeit und Einmaligkeit eines Duftes, den man VIELLEICHT nur einmal im Leben begegnet, ließ sich so für immer mit einem einzelnen Person oder Ereignis verbinden, während visuelle oder verbale Visionen derselben Erlebnisse immer wieder auftreten. Der Duft des Großvaters, die Kindheitserinnerung und die plötzliche Reflexion werden vergegenwärtigt, was vielleicht nie mehr zugänglich wäre. Kaum vorstellbar, dass eine bewegende Erinnerung durch einen alltäglichen gewöhnten Geruch ausgelöst werden kann… Wie wäre es, wenn der Kellner Proust aus Versehen einen Kaffee brächte, anstatt einem Tee?

Was die Einmaligkeit des Teeduftes anbelangt, kann ich in diesen Tagen nur zu gut erleben. Einmalig und nie wieder schmeckt eigentlich jede Tasse Tee. Diese triviale und banale Tatsache erkenne ich erst jetzt. Die Schulung von Tee und Zen war vergeblich. Das Bewusstsein der Einmaligkeit ist durchaus verloren in unserer Industriegesellschaft, die alles Wiederholbare reproduziert, sei es Kunst, sei es Musik, sei es mit dem Tee. Der easy Geschmack, der sich immer herstellen lässt, spiegelt unseren Zeitgeist wider. „Der Duft der Welt ist auch nicht mehr, was er früher war. Genau genommen hat sich der große Wandel 1903 vollzogen.“ schrieb George Duhamel 1924. Er erklärte, dass er Düfte von früher nur manchmal, nur eine Sekunde lange, in den Schwertlilien an den Ufern des Ourcq und zwischen den Seiten eines alten Buches bei den Bouquinistes an der Seine erahnte.

Als der letzte Tee am letzten Montag in Bodman bereitet wurde, war mein Körper wackelig, mein Gemüt zerbrechlich. Es war stil von einer besonderen Atmosphäre. Detlef sagte mir, dass die Hinfälligkeit des Lebens vors Auge veranschaulicht wurde. Die Einmaligkeit des Tees wurde wieder wach gerufen. Man dachte, dass ich nach dem Verlassen des Teeraums nie mehr zurückkehren würde. Er bestellte eine große Teevorrat beim Abschied, denn er tatsächlich befürchte, dass ich im Frühling nie mehr aus Asien zurückkomme. (Eigentlich spiele ich eher den Gedanken wieder nach Deutschland zurück zu siedeln. Als ich Jörg, dem Präsident Teeclubs Suisse davon erzählte, flippte er aus und zeigte mir gleich eine rote Karte.)

Der letzte Tee am Rosenmontag 08 Das gefaltete rosa Tuch signalisierte, dass es der letzte Tee des Tages war.

Im Bett, weil ein Kranker nichts anders machen kann, lese ich weiter und suche weiter nach dem verlorenen Duft.

„Dem zwischen Raum zwischen zwei Zeilen entströmt ein kaum wahrnehmbarer Duft, der genau der alte Duft der Welt ist.“ George Duhamel (1884-1966)

  

4 Gedanken zu „Suche nach dem verlorenen Duft

  1. dillicious

    ich bin dagegen. so ohne freche anti-schweizer sprüche wirds langweilig hier. und ich kann nicht mehr so frech kontern.

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  2. Suzanne

    ohne Schweizer Sprüche wirds hier nicht langweilig!!!

    Dann gibts freche Deutschen-Sprüche … ;-))

    Und langweilig wirds hier sowieso nicht!!! :)))

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  3. Pingback: Brauchen wir heute NOCH ein Ritual? | Tee erleben – Teeblog

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